Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
blinkenden, schweigenden Glocke. Gelbe Glühbirnen unter runden Metallschirmen beleuchteten saubere Wege und weißgekalkte Wände.
Die Lichter verblaßten im ersten der niedrigen Hospitalgebäude, wo Gretchen allein arbeitete.
Ab und zu sah ich ihr Profil hinter den Fensterscheiben. Einmal erblickte ich sie gleich hinter der Tür, wo sie sich an einen Tisch gesetzt hatte, gerade lange genug, um ein paar Notizen zu Papier zu bringen. Ihr Kopf war gesenkt, ihr Haar im Nacken zusammengebunden.
Endlich näherte ich mich lautlos dem Eingang und schlüpfte hinein in das kleine, vollgestopfte Büro mit der einen hell leuchtenden Lampe und weiter zur Tür der Station.
Ein Kinderhospital! Lauter kleine Betten. Roh behauen, einfach, in zwei Reihen. Täuschte ich mich im tiefen Halbdunkel? Oder waren die Betten aus roh zusammengebundenem Holz, mit Gardinen umhängt? Und auf dem kleinen, farblosen Tisch, war das nicht ein Kerzenstumpf auf einer Untertasse?
Mir war plötzlich schwindlig; die große Klarheit war aus meinem Blick gewichen. Nicht dieses Hospital! Ich blinzelte, bemühte mich, die zeitlosen Elemente und diejenigen, die einen Sinn ergaben, auseinanderzureißen. Plastikbeutel mit intravenöser Nahrung glitzerten in verchromten Ständern neben den Betten, schwerelose Nylonschläuche senkten sich glänzend zu winzigen Nadeln in dünnen, zerbrechlichen Ärmchen herab!
Das hier war nicht New Orleans! Das war nicht das kleine Hospital! Aber sieh dir doch die Wände an! Sind sie nicht aus Stein? Ich wischte mir die dünne Schicht Blutschweiß von der Stirn und starrte den Fleck auf meinem Taschentuch an. War das nicht ein blondes Kind, dort hinten in dem kleinen Bett? Wieder überkam mich das Schwindelgefühl. Mir war, als hörte ich gedämpftes, hohes Lachen, voll Fröhlichkeit und lässigem Spott. Aber das war sicher ein Vogel, draußen in der weiten Finsternis. Es war keine alte Krankenschwester in ihrem selbstgewebten, knöchellangen Rock, mit einem Tuch um die Schultern. Die war seit Jahrhunderten fort und mit ihr das kleine Gebäude.
Aber das Mädchen stöhnte; das Licht schimmerte auf ihrem runden Köpfchen. Ich sah ihre rundliche Hand auf der Decke. Wieder bemühte ich mich um klaren Blick. Ein tiefer Schatten fiel neben mir über den Fußboden. Ja, sieh doch, der ApnoeAlarm mit seinen kleinen Leuchtziffern und die Glastüren der Medizinschränke! Es ist nicht jenes Kapitel, es ist dieses!
Du bist also zu mir gekommen, Vater? Du hast gesagt, du würdest es wieder tun.
»Nein, ich werde ihr nichts tun! Ich will ihr nichts tun.« Flüsterte ich so laut?
Weit, weit hinten, am Ende des schmalen Raums, saß sie auf dem kleinen Stuhl; ihre Füße baumelten hin und her, und ihr Haar lag in hübschen Locken auf den Puffärmeln.
Oh, du bist ihretwegen gekommen. Du weißt es!
»Psst, du wirst die Kinder wecken! Geh weg. Du bist nicht da.«
Jeder wußte, daß du siegen würdest. Sie wußten, daß du den Körperdieb bezwingen würdest. Und hier bist du nun… willst sie holen.
»Nein, ich will ihr nichts tun. Aber ich will die Entscheidung in ihre Hände legen.«
»Monsieur? Kann ich Ihnen helfen?«
Ich blickte auf. Ein alter Mann stand vor mir, der Arzt mit dem fleckigen Schnurrbart und der kleinen Brille. Nein, nicht dieser Arzt! Wo kam er jetzt her? Ich starrte sein Namensschild an. Wir sind in Französisch-Guyana. Deshalb spricht er Französisch. Und da sitzt kein Kind am Ende der Station auf einem Stuhl, und auch sonst nirgendwo.
»Ich will zu Gretchen«, flüsterte ich. » Schwester Marguerite.« Ich hatte gedacht, sie sei hier in diesem Gebäude, hatte geglaubt, sie durch die Fenster zu sehen. Ich wußte, sie war hier.
Dumpfe Geräusche am hinteren Ende der Station. Er kann sie nicht hören, aber ich höre sie. Sie kommt. Plötzlich nahm ich ihre Witterung auf, vermischt mit dem Geruch der Kinder, des alten Mannes.
Aber sogar mit diesen Augen konnte ich in der unerträglichen Düsternis nichts sehen. Woher kam denn hier das Licht? Sie hatte die kleine elektrische Lampe an der hinteren Tür eben ausgeknipst, und jetzt kam sie durch die Station heran, Bett für Bett, die Schritte kurz, aber entschlossen, der Kopf gesenkt. Der Arzt machte eine müde Geste und schlurfte an mir vorbei.
Starre nicht seinen fleckigen Schnurrbart an, nicht seine Brille, nicht den Buckelrücken. Du hast doch das Plastikschild mit seinem Namen an seiner Brusttasche gesehen. Er ist kein Geist!
Die Fliegentür fiel leise hinter
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