Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
von dem strahlenden Gesicht zu den kraftvollen, breiten Schultern vor der Stuhllehne und dann weiter über die ganze entspannt wirkende Gestalt.
»Er hat sich für dich ausgegeben«, sagte ich und bemühte mich um Konzentration. »Er hat dich gespielt. O Gott, ich habe mein ganzes Leid vor ihm ausgebreitet, David. Er saß da und hörte mir zu, und ich fiel darauf herein. Und dann bat er mich um das Geschenk der Finsternis. Er sagte, er habe es sich anders überlegt. Er lockte mich hinauf in meine Suite, wo ich es ihm geben sollte, David! Es war grauenhaft. Es war alles, was ich mir je gewünscht hatte, und doch wußte ich, daß da etwas nicht stimmte! Etwas an ihm war so gespenstisch. Oh, und es gab natürlich Hinweise, aber ich habe sie nicht gesehen. Was für ein Dummkopf war ich doch!«
»Leib und Seele«, sagte der glatthäutige, aufrechte junge Mann, der mir da gegenübersaß. Er zog das Jackett aus und warf es auf den Nachbarstuhl; dann lehnte er sich wieder zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Der Stoff des Rollkragenhemdes betonte seine Muskeln äußerst vorteilhaft, und der Kontrast mit der sauberen weißen Baumwolle ließ seine Hautfarbe um so voller erscheinen, fast wie ein dunkel goldenes Braun.
»Ja, ich weiß«, sagte er dann in seinem angenehmen, britisch fließenden Tonfall. »Es ist durchaus ein Schock. Ich habe vor wenigen Tagen in New Orleans genau das gleiche erlebt, als der einzige Freund, den ich auf der Welt habe, in diesem Körper hier verschwand! Ich kann es dir restlos nachfühlen. Und ich habe verstanden - du brauchst mich nicht noch einmal zu fragen -, daß mein alter Körper wahrscheinlich sterben wird. Ich weiß nur nicht, was einer von uns dagegen tun kann.«
»Na, in seine Nähe können wir jedenfalls nicht; das steht fest! Wenn du bis auf ein paar Schritte an ihn herankämst, würde James wahrscheinlich deine Anwesenheit spüren und sich hinreichend konzentrieren, um herauszufahren.«
»Glaubst du, James ist noch in diesem Körper?« Wieder zog er die Brauen hoch, wie David es tat, wenn er sprach; dabei neigte er ganz leicht den Kopf nach vorn, und den Mund umspielte die Andeutung eines Lächelns.
David in diesem Gesicht! Das Timbre der Stimme war fast genau das gleiche.
»Ah … was… o ja, James. Ja, James ist in dem Körper. David, es war ein Schlag auf den Kopf! Du weißt, was wir besprochen haben. Wenn ich ihn umbringen müßte, dann müßte ich es mit einem heftigen Schlag auf den Kopf tun. Er stammelte etwas von seiner Mutter. Er wollte sie holen. Er flüsterte immer wieder, man solle ihr sagen, daß Raglan sie brauche. Er war noch in dem Körper, als ich das Zimmer verließ.«
»Verstehe. Das bedeutet, daß das Gehirn noch funktioniert, aber schwer beeinträchtigt ist.«
»Genau! Verstehst du nicht? Er dachte, er könnte mich daran hindern, ihm etwas anzutun, weil es dein Körper war. Er hatte sich in deinen Körper geflüchtet! Oh, aber da hat er sich geirrt! Total! Und daß er versucht hat, das Geschenk der Finsternis von mir zu ergaunern! Diese Eitelkeit! Er hätte es besser wissen müssen. Er hätte mir sein kleines Komplott sofort beichten sollen, als er mich sah. Zum Teufel mit ihm. David, wenn ich deinen Körper nicht getötet habe, dann habe ich ihn irreparabel verwundet.«
Er war in seinen Gedanken versunken, genau wie er es mitten in unseren Gesprächen immer getan hatte; mit großen, sanften Augen blickte er durch die großen Fenster in die Ferne, über die dunkle Bay.
»Ich muß ins Krankenhaus, nicht wahr?« flüsterte er schließlich.
»Um Himmels willen, nein! Willst du denn in diesen Körper gestürzt werden, während er stirbt? Das kann doch nicht dein Ernst sein!«
Mit lässiger Anmut erhob er sich und ging ans Fenster. Er starrte in die Nacht hinaus, und ich sah seine charakteristische Haltung, ich sah den unverwechselbaren Ausdruck Davids im sorgenvollen Spiegelbild dieses neuen Gesichts.
Was für ein magischer Anblick es war, dieses Wesen mit all seiner Ausgeglichenheit und Weisheit, das aus dieser jungen Gestalt hervorschien, die sanfte Intelligenz hinter den klaren jungen Augen, die jetzt wieder auf mich herabblickten.
»Mein Tod wartet doch auf mich, nicht wahr?« sagte er leise.
»Laß ihn warten. Es war ein Unfall, David. Es ist kein unvermeidlicher Tod. Es gibt natürlich noch eine Alternative. Wir kennen sie beide.«
»Welche?«
»Wir gehen beide zusammen hin. Wir verschaffen uns irgendwie Zutritt zu seinem Zimmer,
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