Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
wie ersieh mühte, seine Würde zu wahren, wie er hastig und beinahe fröhlich auf sie einredete, als wäre er ein Gentleman von großem Reichtum und Einfluß, der in irgendeine schmutzige, ärgerliche kleine Affäre hineingeraten war.«
»Das kann ich mir vorstellen.«
»Aber was für ein Spiel spielt er da, fragte ich mich. Mir war natürlich nicht klar, daß er an die Zukunft dachte und sich überlegte, wie er sich vor dir in Sicherheit bringen sollte. Ich konnte nur denken: Was hat er jetzt wieder vor? Dann erkannte ich, daß er sie wahrscheinlich auf mich hetzen würde. Selbstverständlich würde er mir den ganzen Zwischenfall in die Schuhe schieben. Sofort durchsuchte ich meine Taschen. Ich hatte den Paß auf den Namen Sheridan Blackwood, das Geld, das du ihm dagelassen hattest, damit er das Schiff verlassen könnte, und den Schlüssel zu deiner alten Kabine im oberen Deck. Ich versuchte mir zu überlegen, was ich denn nun am besten tun sollte. Wenn ich in diese Kabine ginge, würden sie mich dort suchen. Den Namen im Paß kannte er nicht, aber die Kabinenstewards würden natürlich zwei und zwei zusammenzählen.
Ich war immer noch völlig verwirrt, als ich seinen Namen über die Lautsprecheranlage hörte. Eine ruhige Stimme bat Mr. Raglan James, sich sofort beim nächsten Schiffsoffizier zu melden. Er hatte mich also angezeigt, und er glaubte, ich hätte den Paß, den er dir gegeben hatte. Und es wäre nur eine Frage der Zeit, wann man den Namen Sheridan Blackwood damit in Verbindung bringen würde. Wahrscheinlich war er in diesem Augenblick dabei, ihnen eine Personenbeschreibung von mir zu geben.
Ich wagte nicht, auf Deck fünf hinunterzugehen, um mich zu vergewissern, daß du dein Versteck wohlbehalten erreicht hattest,. ich würde sie sonst vielleicht zu dir führen. So wie ich es sah, gab es nur eine Möglichkeit für mich: Ich mußte mich irgendwo verstecken, bis ich wußte, daß er nicht mehr an Bord war.
Ich ging hinunter aufs Lido-Deck, wo die meisten Passagiere beim Frühstück saßen; ich besorgte mir eine Tasse Kaffee und verdrückte mich in eine Ecke, aber nach wenigen Minuten wußte ich, daß es so nicht gehen würde. Zwei Offiziere erschienen, die offensichtlich nach jemandem suchten. Ich entkam ihrer Aufmerksamkeit mit knapper Not, indem ich anfing, mit zwei freundlichen Frauen am Nachbartisch zu plaudern, und mich mehr oder weniger ihrer kleinen Gruppe anschloß.
Nach kurzer Zeit gingen die Offiziere weiter, aber dann kam wieder eine Durchsage über das Lautsprechersystem. Diesmal hatten sie den richtigen Namen. Mr. Sheridan Blackwood möchte sich bitte unverzüglich beim nächsten Schiffsoffizier melden. Und dann fiel mir eine weitere furchtbare Möglichkeit ein. Ich steckte im Körper eines Londoner Automechanikers, der seine ganze Familie umgebracht hatte und aus einem Irrenhaus entflohen war. Die Fingerabdrücke dieses Körpers waren vermutlich aktenkundig. Es war James durchaus zuzutrauen, daß er die Behörden davon in Kenntnis setzte. Und wir lagen hier in Britisch-Barbados! Nicht einmal die Talamasca würde diesen Körper aus der Haft herausholen können, wenn sie mich faßten. Sosehr es mich auch beunruhigte, dich allein zu lassen, ich mußte versuchen, von Bord zu kommen.«
»Du hättest wissen können, daß mir nichts passieren würde. Aber warum haben sie dich an der Gangway nicht aufgehalten?«
»Ah, das hätten sie beinahe getan, aber es herrschte größte Verwirrung. Der Hafen von Bridgetown ist ziemlich groß, und wir lagen direkt am Kai. Die kleine Barkasse war also nicht nötig. Und die Zollbehörde hatte so lange gebraucht, das Schiff für die Ausschiffung freizugeben, daß Hunderte von Leuten in den Gängen des Unterdecks darauf warteten, an Land zu gehen.
Die Offiziere kontrollierten die Bordpässe, so gut es ging, aber es gelang mir wieder, mich einer kleinen Gruppe englischer Ladies anzuschließen, und ich fing an, mich laut mit ihnen über die Sehenswürdigkeiten von Barbados und das schöne Wetter zu unterhalten, und so konnte ich mich durchschmuggeln.
Ich ging schnurstracks auf den Kai hinunter und auf das Zollgebäude zu. Meine nächste Befürchtung war, daß sie dort meinen Paß kontrollieren würden, bevor sie mich durchließen.
Und man darf natürlich nicht vergessen, daß ich mich erst seit einer Stunde in diesem Körper befand. Jeder Schritt war mir völlig fremd. Immer wieder schaute ich hinunter und sah diese Hände, und dann kam der Schock - wer bin
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