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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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das wert sein mochte.
    Ich nahm Davids Manuskripte, ging mit Raglan James’ Brief zur Rezeption und ließ sie faxen, und dann begab ich mich nach Notre Dame, um mich mit einem kleinen Gebet von Paris zu verabschieden.
    Ich war von Sinnen, absolut von Sinnen. Wann hatte ich je so reines Glück empfunden!! Ich stand in der dunklen Kathedrale, die zu dieser Stunde verschlossen war, und dachte daran, wie ich vor vielen, vielen Jahrzehnten zum erstenmal hiergewesen war. Vor dem Portal hatte es keinen großen Platz gegeben, nur die kleine Place de Gréve, von schiefen Häusern gesäumt; und in Paris hatte es auch keine großen Boulevards gegeben, sondern nur die breiten Lehmstraßen, die wir damals für so elegant gehalten hatten.
    Ich dachte an all den blauen Himmel und daran, was für ein Gefühl es gewesen war, Hunger zu haben, richtigen Hunger auf Brot und Fleisch, und betrunken zu sein von gutem Wein. Ich dachte an Nicolas, meinen sterblichen Freund, den ich so sehr geliebt hatte, und daran, wie kalt es gewesen war in unserer kleinen Dachkammer. Nicki und ich hatten uns gestritten, wie David und ich uns stritten. O ja!
    Mir schien, mein großes, langes Dasein seitdem war ein Alptraum gewesen, ein einziger, umfassender Alptraum, bevölkert von Riesen und Ungeheuern und grausigen, gespenstischen Masken vor den Gesichtern von Wesen, die mich in ewiger Finsternis bedrohten. Ich zitterte. Ich weinte. Ein Mensch sein, dachte ich. Wieder ein Mensch sein. Ich glaube, ich sprach diese Worte laut aus.
    Dann ließ mich ein plötzliches, flüsterndes Lachen aufschrecken. Da war ein Kind irgendwo in der Dunkelheit, ein kleines Mädchen.
    Ich drehte mich um; ich war fast sicher, daß ich sie sehen konnte -eine kleine graue Gestalt, die dort hinten den Gang zu einem Seitenaltar hinaufhuschte und dann verschwand. Ihre Schritte waren kaum hörbar gewesen. Aber sicher war es ein Irrtum. Keine Witterung. Keine Anwesenheit. Nur Illusion.
    Trotzdem rief ich: »Claudia!«
    Und meine Stimme rollte in einem harten Echo zu mir zurück. Niemand da. Natürlich nicht.
    Ich dachte an David: »Sie werden wieder einen grauenhaften Fehler begehen.«
    Ja, ich habe grauenhafte Fehler begangen. Wie kann ich das leugnen? Schreckliche, schreckliche Irrtümer. Die Atmosphäre meiner jüngsten Träume kehrte wieder, aber sie vertiefte sich nicht, und was blieb, war nur das flüchtige Gefühl, mit ihr zusammenzusein. Etwas mit einer Öllampe und daß sie über mich lachte.
    Wieder dachte ich an ihre Hinrichtung - den ziegelummauerten Luftschacht, die aufgehende Sonne, und wie klein sie gewesen war; und dann mischte sich da hinein die Erinnerung an die Schmerzen in der Wüste Gobi, und ich ertrug es nicht mehr. Ich merkte, daß ich meine Brust mit beiden Armen umschlang und daß ich zitterte; mein Körper war Start, als werde er von Elektroschocks gemartert. Ah, aber sicher hatte sie nicht gelitten. Sicher war es für ein so zartes, kleines Geschöpf in einem Augenblick vorbei gewesen. Asche zu Asche…
    Es wäre pure Qual. Nicht an solche Zeiten wollte ich mich erinnern, ganz gleich, wie lange ich vorher im Cafe de la Paix herumgesessen hatte oder wie stark ich geworden zu sein glaubte. Sondern an mein Paris, an die Zeit vor dem Theater der Vampire, als ich unschuldig gewesen war und lebendig.
    Ich blieb noch eine Weile so im Dunkeln und schaute hinauf zu den großen, sich verzweigenden Bögen über mir. Was für eine wunderbare, majestätische Kirche es war - auch jetzt, mit dem Geknatter und Geratter der Autos im Hintergrund. Wie ein Wald aus Stein.
    Ich warf ihr eine Kußhand zu, wie ich David eine zugeworfen hatte. Und dann machte ich mich auf die weite Heimreise.

Sieben
    N ew Orleans.
    Ich kam am frühen Abend an, denn ich war gegen die Drehung der Erde rückwärts durch die Zeit gereist. Es war kühl und frisch, aber nicht unerträglich, obwohl ein übler Nordwind aufkam. Der Himmel war wolkenlos und voller kleiner, sehr klarer Sterne.
    Ich begab mich ohne Umwege in meine kleine Dachwohnung im French Quarter; sie ist zwar prächtig, aber überhaupt nicht hoch gelegen. Sie sitzt unter dem Dach eines viergeschossigen Hauses, das lange vor dem Bürgerkrieg erbaut wurde. Es hat einen ziemlich intimen Blick auf den Fluß mit seiner schönen Doppelbrücke, und bei offenem Fenster hört man den fröhlichen Lärm der Leute im Café du Monde und in den betriebsamen Geschäften und Straßen rings um den Jackson Square.
    Erst am kommenden Abend hatte Mr.

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