Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
Versprechen?«
»Bei meiner Ehre als blutdürstiger Mörder, jawohl.«
»Ich will eine Telefonnummer in New Orleans.«
Ich starrte ihn einen Moment lang durchdringend an. »Also gut. Das habe ich noch nie getan. Aber hier ist sie.«
Ich nannte ihm die Telefonnummer meiner Dachgemächer im French Quarter.
»Wollen Sie sie nicht notieren?«
»Ich habe sie schon im Kopf.«
»Dann leben Sie wohl!«
Ich stand vom Tisch auf und hatte in meiner Aufregung Mühe, mich wie ein menschliches Wesen zu bewegen. Ah, sich bewegen wie ein Mensch. Welch eine Vorstellung, in einem menschlichen Körper zu sein! Die Sonne zu sehen, sie wirklich zu sehen, eine kleine, gleißende Kugel in einem blauen Himmel! »Ach, und - David, fast hätte ich es vergessen: Hier ist alles für Sie erledigt. Rufen Sie meinen Agenten an. Er wird Ihnen den Flug buchen…«
»Das interessiert mich nicht, Lestat. Hören Sie zu! Legen Sie einen Termin fest, wann Sie mit mir darüber reden wollen - jetzt sofort! Wenn Sie es wagen, mir jetzt einfach zu verschwinden, werde ich nie wieder…«
Ich stand vor ihm und lächelte auf ihn herab. Ich sah, daß ich ihn bezauberte.
Natürlich würde er nicht damit drohen, nie wieder mit mir zu sprechen. Wie absurd.
»Grauenhafte Fehler«, sagte ich und konnte nicht aufhören zu lächeln. »Ja, die begehe ich wohl, nicht wahr?«
»Was werden sie mit Ihnen machen - die anderen, meine ich? Ihr teurer Marius, die Alten… was werden sie machen, wenn Sie so etwas tun?«
»Es könnte Sie überraschen, David. Vielleicht wollen sie alle nichts weiter, als wieder Menschen zu sein. Vielleicht wollen wir alle nichts anderes als das. Noch eine Chance.« Ich dachte an Louis in seinem Haus in New Orleans. Lieber Gott, was würde Louis denken, wenn ich ihm all das erzählte?
David knurrte etwas vor sich hin, erbost und ungeduldig. Aber seine Miene war voller Zuneigung und Sorge.
Ich warf ihm eine kleine Kußhand zu und war verschwunden.
Nach knapp einer Stunde begriff ich, daß ich den verschlagenen Dämon nicht finden konnte. Wenn er in Paris war, dann hatte er sich verhüllt, so daß ich nicht den leisesten Schimmer seiner Anwesenheit wahrnehmen konnte. Und nirgends fand ich sein Bild im Kopf irgendeines anderen.
Aber das mußte nicht heißen, daß er nicht in Paris war. Telepathie ist extrem zufallsabhängig, und Paris war eine riesige Stadt, in der es wimmelte von Bürgern aus allen Ländern der Erde.
Als ich schließlich ins Hotel zurückkam, stellte ich fest, daß David bereits ausgezogen war, nicht ohne mir seine diversen Nummern zu hinterlassen für Fax, Computer und Telefon.
»Bitte, melden Sie sich morgen abend«, schrieb er. »Bis dahin werde ich Informationen für Sie haben.«
Ich ging nach oben, um mich auf die Heimreise vorzubereiten. Ich konnte es nicht erwarten, diesen wahnsinnigen Sterblichen wiederzusehen. Und Louis - ich mußte Louis das alles vortragen. Natürlich würde er es nicht für möglich halten; das würden seine ersten Worte sein. Aber die Verlockung würde er erkennen. O ja, das schon.
Ich war noch keine Minute im Zimmer und überlegte gerade, ob es hier irgend etwas gab, das ich mitnehmen mußte - ach ja, Davids Manuskripte -, als ich einen unauffälligen Umschlag auf dem Tisch neben dem Bett entdeckte; er lehnte an einer großen Blumenvase. »Graf van Kindergarten« stand in fester, ziemlich männlicher Handschrift darauf.
Ich wußte sofort, daß es eine Nachricht von ihm war. Der Brief war handgeschrieben, in der gleichen festen, tief eingedrückten Schrift.
Überstürzen Sie nichts. Und hören Sie auch nicht auf Ihren törichten Freund von der Talamasca. Ich sehe Sie morgen abend in New Orleans. Enttäuschen Sie mich nicht. Jackson Square. Wir werden uns dann verabreden, um ein wenig eigene Alchimie zu betreiben. Ich denke, Sie haben jetzt begriffen, was auf dem Spiel steht.
Mit vorzüglichem Gruß
Raglan James
»Raglan James.« Ich sprach den Namen flüsternd aus. Raglan James. Der Name gefiel mir nicht. Er war wie er.
Ich rief den Concierge an.
»Dieses Faxsystem, das man jetzt erfunden hat«, sagte ich auf französisch, »haben Sie das hier? Erklären Sie mir bitte, wie es funktioniert.«
Es war, wie ich vermutet hatte: Ein vollkommenes Faksimile dieser kleinen Mitteilung konnte vom Büro des Hotels aus über eine Telefonleitung an Davids Maschine in London geschickt werden. Dann hätte David nicht nur die Information, sondern auch die Handschrift, was immer
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