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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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wenn er auf die Jagd ging, nur um zuzusehen, wie er trank. Die moderne Welt bedeutet Louis nichts. Er streift lautlos wie ein Phantom durch die Straßen, langsam angezogen von denen, denen der Tod willkommen ist oder zu sein scheint. (Ich bin nicht sicher, ob den Leuten der Tod je wirklich willkommen ist.) Und wenn er trinkt, tut er es behutsam, schmerzlos und schnell. Er muß seinem Opfer dazu das Leben nehmen; er weiß nicht, wie er es verschonen soll. Er war nie stark genug für den »kleinen Trunk«, der mich so viele Nächte überstehen läßt - oder ließ, ehe ich der gierige Gott wurde.
    Seine Kleidung ist immer altmodisch. Wie so viele von uns sucht er sich Sachen, die dem Stil seiner Zeit als Sterblicher entsprechen. Große, weite Hemden mit gerafften Ärmeln und langen Manschetten gefallen ihm und enge Hosen ebenso. Wenn er eine Jacke trägt, was er selten tut, dann ist sie geschnitten wie diejenigen, die ich bevorzuge - Reiterröcke, sehr lang und mit weit geschnittenem Saum.
    Ich bringe ihm solche Kleider manchmal als Geschenke mit, so daß er die paar Sachen, die er sich selbst anschafft, nicht bis zum letzten Faden verschleißen muß. Ich hatte mich schon versucht gefühlt, sein Haus in Ordnung zu bringen: Bilder aufzuhängen, allerlei Zierat hineinzuschaffen, ihn mit dem schwindelerregenden Luxus zu umgeben, den ich in der Vergangenheit auch besessen hatte.
    Ich glaube, er hätte das auch gern gehabt, aber er wollte es nicht zugeben. Er existierte ohne Elektrizität und ohne moderne Heizung, wanderte im Chaos umher und tat so, als sei er rundum zufrieden.
    In einigen der Fenster in seinem Haus fehlten die Scheiben, und nur hin und wieder verriegelte er die altmodischen Lamellenläden. Es schien ihn nicht zu kümmern, daß der Regen auf seine Habseligkeiten fiel, denn eigentlich waren es keine Habseligkeiten, sondern hier und da aufgehäufter Müll.
    Aber nochmals: Ich glaube, er wollte, daß ich etwas daran änderte. Es ist schon erstaunlich, wie oft er mich in meinen überheizten und hell beleuchteten Räumen in der Stadt besuchen kam. Da saß er dann stundenlang vor meinem großen Fernsehapparat. Manchmal brachte er sich eigene Filme mit, auf Laserdisk oder Kassette. Zeit der Wölfe, das war einer, den er sich immer wieder anschaute. Die Schöne und das Biest, ein französischer Film von Jean Cocteau, machte ihm auch viel Spaß. Dann war da noch The Dead - Die Toten, ein Film von John Huston nach einer Geschichte von James Joyce. Wohlgemerkt: Dieser Film hat nicht das geringste mit unseresgleichen zu tun; er handelt von einer Gruppe von ganz gewöhnlichen Sterblichen zu Anfang dieses Jahrhunderts in Irland, die sich am Abend von »Little Christmas« zu einem Gastmahl versammeln. Noch viele andere Filme machten ihm Spaß. Aber diese Besuche konnte ich nicht herbeizwingen, und sie dauerten nie sehr lange. Oft beklagte er den »krassen Materialismus«, in dem ich mich »wälzte«, und er verschmähte meine Samtkissen, die dicken Teppiche und das üppige Marmorbad und wanderte wieder davon in sein vergessenes, rankenüberwuchertes Häuschen.
    Heute abend nun saß er in all seiner staubigen Pracht da, einen Tintenfleck auf der weißen Wange, und brütete über einer großen, unhandlichen Charles-DickensBiographie, die kürzlich von einem englischen Romancier verfaßt worden war; langsam nur blätterte er um, denn er liest nicht schneller als die meisten Sterblichen. Ja, unter uns Überlebenden ist er überhaupt den Menschen noch am ähnlichsten. Und das bleibt so, weil er es will.
    Schon oft habe ich ihm mein stärkeres Blut angeboten. Immer hat er es zurückgewiesen. Die Sonne über der Wüste Gobi hätte ihn zu Asche verbrannt. Seine Sinne sind fein abgestimmt und vampirisch, aber nicht wie die eines Kindes der Jahrtausende. Er ist nie besonders erfolgreich darin, irgend jemandes Gedanken zu lesen. Wenn er einen Sterblichen in Trance versetzt, dann immer aus Versehen.
    Und natürlich kann ich seine Gedanken auch nicht lesen, weil ich ihn gemacht habe und weil die Gedanken von Zögling und Meister einander gegenseitig immer verschlossen sind, obgleich keiner von uns weiß, warum das so ist. Ich habe den Verdacht, daß wir eine Menge von den Gefühlen und Sehnsüchten des anderen wissen, aber daß die Verstärkung zu laut ist, als daß irgendein klares Bild davon zustande kommen könnte. Eine Theorie. Eines Tages wird man uns vielleicht wirklich im Labor studieren. Dann werden wir durch die dicken

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