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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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obgleich die gesunden Zellen seines Gehirns weiter knallten und zischten, wie sie es gewohnt sind. Ich brachte den Tausch stufenweise zuwege. Ihn hinauszuwerfen war einfach. Ihn in meinen alten Körper zu locken und dort zurückzulassen, das erforderte Geschick. «
    »Wo ist Ihr alter Körper jetzt?«
    »Monsieur de Lioncourt, es ist einfach ausgeschlossen, daß die alte Seele jemals anklopft; das garantiere ich Ihnen.«
    »Ich will ein Bild von Ihrem alten Körper sehen.«
    »Wozu denn?«
    »Weil es mir etwas über Sie sagen wird, vielleicht mehr, als Sie selbst mir sagen. Ich verlange es. Andernfalls ist die Sache für mich erledigt.«
    »Ist sie das?« Sein höfliches Lächeln blieb unverändert. »Und wenn ich jetzt aufstehe und hinausgehe?«
    »Ich werde Ihren prachtvollen neuen Körper töten, sobald Sie es versuchen. Niemand in diesem Cafe wird es bemerken. Man wird glauben, Sie seien betrunken und mir in die Arme gekippt. Ich mache so etwas dauernd.«
    Er schwieg, aber ich sah, daß er wie wild überlegte, und dann wurde mir klar, wie sehr er das alles genoß und daß er es schon die ganze Zeit genossen hatte. Er war wie ein großer Schauspieler, ganz vertieft in die größte Herausforderung seines Bühnenlebens.
    Er lächelte mich verblüffend verführerisch an, und dann zog er sorgfältig den rechten Handschuh aus, nahm einen kleinen Gegenstand aus der Tasche und gab ihn mir. Es war ein altes Foto von einem hageren Mann mit dichtem weißen welligen Haar. Ich schätzte ihn auf etwa fünfzig. Er trug eine Art weiße Uniform mit einer kleinen schwarzen Schleife.
    Er war eigentlich ein sehr nett aussehender Mann und wirkte sehr viel zarter als David, aber er hatte die gleiche britische Eleganz, und sein Lächeln war nicht unsympathisch. Er lehnte an einem Geländer; es konnte die Decksreling eines Schiffes sein. Ja, es war ein Schiff. »Sie wußten, daß ich danach fragen würde, nicht wahr?«
    »Früher oder später, ja«, sagte er. »Wann wurde das aufgenommen?«
    »Das ist nicht wichtig. Warum um alles in der Welt wollen Sie das wissen?« Er ließ ein wenig Ärger erkennen, verbarg ihn aber gleich wieder. »Vor zehn Jahren«, sagte er und senkte die Stimme leicht. »Wird das genügen?«
    »Damit wären Sie jetzt… wie alt? Mitte Sechzig vielleicht?«
    »Damit bin ich einverstanden«, sagte er mit breitem, vertraulichem Grinsen.
    »Und wie haben Sie das alles gelernt? Wieso haben andere diesen kleinen Trick nicht auch perfektionieren können?«
    Er musterte mich mit kaltem Blick von Kopf bis Fuß, und ich dachte schon, er werde gleich die Fassung verlieren. Aber dann zog er sich wieder in sein höfliches Benehmen zurück. »Vielen ist es schon gelungen«, sagte er, und sein Ton klang wieder sehr vertraulich. »Ihr Freund David Talbot hätte es Ihnen erzählen können. Er wollte nicht. Er lügt, wie alle diese Hexenmeister in der Talamasca. Sie sind religiös. Sie glauben, sie können die Menschen beherrschen; sie benutzen ihr Wissen, um zu herrschen.«
    »Woher wissen Sie über sie Bescheid?«
    »Weil ich ein Mitglied dieses Ordens war.« Seine Augen leuchteten verspielt auf, als er wieder lächelte. »Sie haben mich hinausgeworfen. Sie haben mir vorgeworfen, ich benutzte meine Kräfte zu meinem eigenen Vorteil. Was aber gibt es sonst, Monsieur de Lioncourt? Wozu kann man seine Kräfte benutzen, wenn nicht zu seinem Vorteil?«
    Louis hatte also recht gehabt. Ich sagte nichts. Ich versuchte, seine Gedanken zu lesen, aber ohne Erfolg. Statt dessen empfing ich ein starkes Empfinden seiner physischen Gegenwart, der Hitze, die von ihm ausging; ich spürte den heißen Quell seines Blutes. Saftig - das war das richtige Wort für diesen Körper, was immer man von seiner Seele denken mochte. Das Gefühl mißfiel mir, denn es erweckte in mir den Wunsch, ihn auf der Stelle zu töten.
    »Ich habe durch die Talamasca von Ihnen erfahren«, sagte er, vertraulich wie zuvor. »Natürlich waren mir Ihre kleinen Prosastücke bekannt. Ich lese alles in dieser Richtung. Deshalb habe ich auch diese Short stories benutzt, um mit Ihnen zu kommunizieren. Aber erst in den Archiven der Talamasca habe ich herausgefunden, daß Ihre Schriften überhaupt nicht erfunden waren.«
    Ich empfand stumme Wut darüber, daß Louis recht gehabt hatte.
    »Also gut«, sagte ich. »Das mit dem geteilten Hirn und der geteilten Seele habe ich verstanden. Aber was ist, wenn Sie mir meinen Körper nicht wieder zurückgeben wollen und, wenn wir diesen

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