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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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viel feiner ist. Gestatten Sie bitte, daß ich fortfahre.«
    »Na los.«
    »Wie gesagt, die Seele besteht aus mehr als einem Teil, genau wie das Gehirn. Der größere Teil - Identität, Persönlichkeit, Bewußtsein, wenn Sie wollen - löst sich ab und reist umher, aber ein kleiner Rest Seele bleibt zurück und sorgt dafür, daß der leere Körper sozusagen belebt bleibt, denn ansonsten würde diese Leere natürlich den Tod bedeuten.«
    »Aha. Dieser Seelenrest belebt den Hirnstamm; so meinen Sie das.«
    »Ja. Wenn Sie Ihren Körper verlassen, lassen Sie einen Seelenrest zurück. Und wenn Sie in diesen Körper hier kommen, werden Sie auch hier einen Seelenrest vorfinden. Eben den Seelenrest, den ich gefunden habe, als ich diesen Körper in Besitz nahm. Und dieser Seelenrest wird sich automatisch und sehr bereitwillig mit jeder höheren Seele zusammenschließen; er will diese höhere Seele umarmen. Denn ohne sie fühlt er sich unvollständig.«
    »Und wenn der Tod eintritt, fahren beide Seelenteile hinaus?«
    »Ganz recht. Beide gehen zusammen, die Restseele und die größere Seele; es ist ein gewaltsamer Auszug, und dann ist der Körper nur noch eine leblose Schale, und der Verfall beginnt.« Er wartete und beobachtete mich mit scheinbar unveränderter aufrichtiger Geduld. Dann sagte er: »Glauben Sie mir, die Wucht des eigentlichen Todes ist viel größer. In dem, was wir hier planen, liegt überhaupt keine Gefahr.«
    »Aber wenn dieser kleine Seelenrest so verdammt aufnahmebereit ist, wieso kann ich mit all meiner Macht nicht einfach irgendeine kleine sterbliche Seele aus der Haut jagen und selbst dort einziehen?«
    »Weil der größere Seelenteil versuchen würde, seinen Körper zurückzubekommen, Monsieur de Lioncourt; selbst wenn er von dem Prozeß nichts verstände, würde er es wieder und wieder versuchen. Seelen wollen nicht ohne ihren Körper sein. Und auch wenn die Restseele den Eindringling annimmt, erkennt sie doch immer die spezielle Seele, zu der sie einmal gehört hat. Und wenn es zum Kampf kommt, wird sie sich für diese Seele entscheiden. Und auch eine ratlose Seele kann machtvolle Versuche unternehmen, ihren sterblichen Rahmen zurückzugewinnen.«
    Ich sagte nichts; aber sosehr ich ihm auch mißtraute und mich immer wieder ermahnte, wachsam zu bleiben, fand ich doch eine gewisse Folgerichtigkeit in dem, was er sagte.
    »Einen bewohnten Körper in Besitz nehmen, das ist immer ein blutiger Kampf«, fuhr er fort. »Sehen Sie sich an, was in Fällen von Besessenheit mit bösen Geistern, Gespenstern und dergleichen passiert. Sie werden am Ende immer ausgetrieben, auch wenn der Sieger gar nicht weiß, was eigentlich passiert ist. Wenn der Priester mit seinem Weihrauch- und Weihwasser-Hokuspokus kommt, dann ruft er die Restseele auf, den Eindringling zu vertreiben und die alte Seele wieder hereinzuziehen.«
    »Aber wenn zwei bei einem Tausch kooperieren, dann haben beide Seelen einen neuen Körper.«
    »So ist es. Glauben Sie mir: Wenn Sie denken, Sie könnten ohne meine Hilfe in einen menschlichen Körper hüpfen - na, probieren Sie’s nur, und Sie werden schon sehen, was ich meine. Sie werden die fünf Sinne eines Sterblichen nie wirklich erleben können, solange da drinnen die Schlacht tobt.«
    Seine Haltung wurde noch bedächtiger und vertraulicher. »Schauen Sie sich diesen Körper noch einmal an, Monsieur de Lioncourt«, sagte er betörend sanft. »Er kann Ihnen gehören, ganz und gar Ihnen.« Seine Pausen wirkten plötzlich ebenso präzise wie seine Worte. »Vor einem Jahr haben Sie ihn zum erstenmal gesehen, in Venedig. Die ganze Zeit seitdem war er ununterbrochen Gastgeber für einen Eindringling. Er wird auch Ihr Gastgeber sein.«
    »Wo haben Sie ihn her?«
    »Gestohlen, das sagte ich doch schon«, antwortete er. »Der frühere Eigentümer ist tot.«
    »Sie müssen sich schon etwas deutlicher ausdrücken.«
    »Ach, muß ich das wirklich? Es ist mir sehr zuwider, mich selbst zu belasten.«
    »Ich bin kein sterblicher Justizbeamter, Mr. James. Ich bin ein Vampir. Sprechen Sie so, daß ich es verstehe.«
    Er lachte leise und ein bißchen ironisch. »Der Körper wurde sorgfältig ausgewählt«, sagte er. »Der frühere Eigentümer hatte keinen Geist mehr. Oh, organisch war alles in Ordnung mit ihm, absolut alles. Wie gesagt, er wurde gründlich geprüft. Er war gewissermaßen ein großes, stilles Versuchstier. Er hat sich nicht bewegt. Hat nicht gesprochen. Sein Verstand war hoffnungslos zersprungen,

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