Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
schlenkernden Armen an mir vorbei und prallte krachend gegen die Hintertür, daß die Fensterscheiben zerbrachen und ein kalter Windstoß hereindrang. Der Hund war inzwischen rasend und ließ sich von mir kaum noch halten.
»Raus!« kreischte ich und sah verblüfft zu, wie die Kreatur rückwärts durch die Tür taumelte, daß Holz und Glas vollends zerbarsten, und sich draußen von der Veranda in die schneedurchwirbelte Nacht hinaufschwang.
Ich sah ihn noch einen letzten Augenblick lang, wie er über der Hintertreppe in der Luft schwebte, eine scheußliche Erscheinung, von Schnee umweht; Arme und Beine bewegten sich jetzt koordiniert wie bei einem Schwimmer in einer unsichtbaren See. Seine blauen Augen waren immer noch weit aufgerissen und verständnislos, als könne er die übernatürliche Haut, die sie umgab, nicht zu einem Ausdruck formen; sie glitzerten wie zwei leuchtende Edelsteine. Sein Mund - mein alter Mund - war zu einem sinnlosen Grinsen gespreizt.
Dann war er fort.
Mir verschlug es den Atem. Es war eiskalt in der Küche, denn der Wind fuhr in jede Ecke, ließ die Kupfertöpfe an ihrem schicken Gestell aneinanderscheppern und rüttelte an der Eßzimmertür. Und plötzlich beruhigte sich der Hund.
Ich merkte, daß ich neben ihm auf dem Boden saß; ich hatte ihm den rechten Arm um den Hals geschlungen und den linken um die pelzige Brust gelegt. Jeder Atemzug tat mir weh; der Schnee flog mir in die Augen, daß ich blinzeln mußte, und ich war in diesen fremden Körper gesperrt, ausgestopft mit Bleigewichten und Matratzenfüllung. Die kalte Luft brannte mir im Gesicht und an den Händen.
»Guter Gott, Mojo«, wisperte ich in das weiche, rosige Ohr. »Guter Gott, es ist passiert. Ich bin ein sterblicher Mann.«
Elf
A lso gut«, sagte ich blöde, und wieder hörte ich verblüfft, wie kraftlos und eingeschränkt die Stimme klang, auch wenn sie tief war. »Es hat begonnen, also fasse dich.« Bei dem Gedanken mußte ich lachen.
Der kalte Wind war das schlimmste. Ich klapperte mit den Zähnen. Der schneidende Schmerz in der Haut war ganz anders als der, den ich als Vampir gefühlt hatte. Ich mußte die Tür reparieren, aber ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wie ich das anfangen sollte.
War noch etwas übrig von ihr? Ich konnte es nicht sehen. Es war, als versuchte ich, durch eine giftige Rauchwolke zu blicken. Langsam rappelte ich mich auf, und sofort war mir der Zuwachs an Körpergröße bewußt, und ich fühlte mich kopflastig und unsicher auf den Beinen.
Jedes bißchen Wärme war aus dem Zimmer gewichen. Ja, ich hörte, wie das ganze Haus in dem Wind klapperte, der hier hereinströmte. Langsam und vorsichtig trat ich hinaus auf die Veranda. Eis. Meine Füße rutschten nach rechts und schleuderten mich rückwärts gegen den Türrahmen. Panik ergriff mich, aber es gelang mir, mit meinen großen, zitternden Fingern das feuchte Holz zu fassen zu bekommen und mich festzuhalten, so daß ich nicht die Treppe hinunterfiel. Wieder spähte ich angestrengt durch die Dunkelheit, aber ich konnte nichts klar erkennen.
»Beruhige dich«, sagte ich zu mir; ich merkte wohl, daß meine Finger schwitzten und gleichzeitig taub wurden und daß auch meine Füße von einer schmerzhaften Gefühllosigkeit erfaßt wurden. »Es gibt hier kein künstliches Licht, das ist alles; und du siehst mit sterblichen Augen. Also unternimm etwas Intelligentes dagegen!« Und sorgfältig einen Fuß vor den anderen setzend - trotzdem wäre ich beinahe ausgerutscht -, ging ich wieder hinein.
Ich sah verschwommene Umrisse; Mojo saß da und beobachtete mich laut hechelnd. In dem einen seiner beiden dunklen Augen glänzte ein winziger Lichtsplitter. Ich sprach ihn sanft an.
»Ich bin’s, Mojo Man, okay? Ich bin’s!« Und ich streichelte sanft das weiche Fell zwischen seinen Ohren. Ich streckte die Hand nach dem Tisch aus und setzte mich sehr unbeholfen auf den Stuhl. Schon die Dicke meines neuen Fleisches und seine Schwammigkeit versetzten mich in Erstaunen, und ich preßte die Hand vor den Mund.
Es ist wirklich geschehen, du Dummkopf, dachte ich. Es ist ein entzückendes Wunder, weiter nichts. Du bist tatsächlich frei von diesem übernatürlichen Körper! Du bist ein menschliches Wesen. Du bist ein Mann. Jetzt hör auf mit dieser Panik. Denke nach wie ein Held, der zu sein du dich doch rühmst! Hier sind praktische Dinge zu erledigen. Der Schnee weht zu dir herein. Dieser sterbliche Körper friert, um der Liebe des Himmels willen.
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