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Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Titel: Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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schienen tatsächlich dringend jemanden zu brauchen, der sich ihrer annahm und sie vor sich selbst schützte, aber deshalb war Louis nicht gekommen, sondern als ein Vampir, der so hungrig war, dass selbst ich es spüren konnte. Sein Weg führte ihn zuerst in das Schlafzimmer, wo er sich ne ben die gespenstisch dünne Gestalt auf die nackte Matratze setzte; mit einer raschen Bewegung legte er den rechten Arm um sie ohne das Kichern, das sie bei seinem Anblick ausstieß, zu beachten; dann bohrte er seine Zähne zum tödlichen Trunk in ihren Hals.
    In dem hinteren Raum betete die alte Frau ohne Unterbrechung. Ich hatte geglaubt, dass Louis die Sache damit hinter sich gebracht hätte, aber leider nein.
    Sobald der klapprige Körper der Frau seitwärts auf die Matratze gesunken war, erhob er sich und blieb einen Augenblick im Schein der spärlich im Raum verteilten Lampen stehen. Das Licht schimmerte auf seinen schwarzen lockigen Haaren und flammte in seinen dunkelgrünen Augen, er sah fantastisch aus. Das frische Blut in seinen Adern hatte sein Gesicht mit einem natürlichen, leuchtenden Glanz überzogen. In seinem dunklen Samtjackett mit den Goldknöpfen wirkte er inmitten der schmuddeligen Farben und groben Materialien der Zimmeraus stattung wie eine Erscheinung. Mir stockte der Atem, als ich sah, wie sich sein Blick langsam wieder festigte und er in das vordere Zimmer schritt.
    Bei seinem Anblick stieß die andere Frau hingerissen einen freudigen Schrei aus, und eine ganze Weile stand er nur da und betrachtete sie, wie sie da in einem dick gepolsterten Sessel hing, mit weit gespreizten Beinen und schlaff herabhängenden, bloßen Armen, die von schorfigen Wunden übersät waren. Er schien ganz unentschlossen zu sein. Aber dann sah ich, dass seine scheinbar nachdenklichen Züge mit dem wachsenden Hunger ausdruckslos und leer wurden. Ich beobachtete, wie er sich ihr näherte; alle Anmut eines denkenden Menschen fiel von ihm ab, nur seine Gier schien ihn zu treiben, als er das gespenstisch dünne junge Geschöpf aufhob und seine Lippen gegen ihren Hals presste. Kein Zähneblitzen, keine Sekunde der Grausamkeit. Nur der endgültige, tödliche Kuss.
    Dann die Verzückung, die ich von meinem Posten am Fenster aus wohlgefällig mit ansah. Es dauerte nur wenige Sekunden, dann war die Frau tot. Er ließ sie wieder zurück in den fleckigen Sessel gleiten, wobei er ihre Glieder sorgfältig zurechtlegte. Ich sah zu, wie er die punktförmigen Wunden an ihrem Hals mit seinem Blut verschloss. Zweifellos hatte er es bei dem anderen Opfer genauso gemacht.
    Kummer spülte wie eine Welle über mich hinweg. Das Leben schien mir unerträglich. Ich hatte ein Gefühl, als werde es für mich nie wieder Sicherheit oder Glück geben. Ich hatte auf beides kein Recht. Aber welchen Wert es auch haben mochte, Louis fühlte gerade, was das Blut einem Monster an Gefühlen schenken konnte, und er hatte seine Opfer gut gewählt. Er trat aus der Haustür, die nicht verriegelt oder verschlossen war, und kam ums Haus herum zu mir in den Hof. Sein Gesicht war nun ganz und gar verwandelt. Er schien ein Mensch, ein großartig aussehender Mann, seine Augen blickten klar und beinahe feurig, und seinen Wangen waren wunderbar gerötet. Für die Behörden würde das hier, der Tod dieser beiden Unglücklichen, nur Routine sein: Sie waren ihrem Drogenkonsum zum Opfer gefallen. Und die alte Frau in dem Hinterzimmer, sie fuhr fort in ihren Gebeten, die sie als Wiegenlied für das Baby benutzte, das leise zu weinen begonnen hatte. »Lass ihr etwas Geld für das Begräbnis hier«, sagte ich gedämpft zu Louis. Das schien ihn zu verwirren.
    Rasch eilte ich zur Haustür, schlüpfte hindurch und legte eine ansehnliche Summe auf ein wackeliges Tischchen, das mit überquellenden Aschenbechern und Gläsern mit abgestandenen Weinresten übersät war. Weitere Scheine deponierte ich auf einem alten Sekretär.
    Louis und ich begaben uns auf den Heimweg. Wir genossen die warme, feuchte Nachtluft, und der Duft von Liguster füllte meine Lungen. Bald schon näherten wir uns den hell erleuchteten Straßen, die wir so lieben. Louis ging mit beschwingten Schritten und benahm sich ganz und gar wie ein Mensch. Er blieb stehen, um hier und da ein paar Blumen zu pflücken, die über Zäune hingen oder aus kleinen Gärten ragten. Leise, unaufdringlich sang er vor sich hin. Dann und wann hob er den Blick zu den Sternen empor.
    All das empfand ich als angenehm, wenn ich mich auch fragte, wie

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