Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs
in Himmels Namen ich den Mut aufbringen würde, mich nur von den Übeltätern zu nähren oder in Antwort auf ein Gebet zu töten, wie Louis es gerade getan hatte. Ich sah den trügerischen Irrtum, der darin lag. Wieder überrollte mich Trostlosigkeit wie eine Woge, und ich fühlte das schreckliche Bedürfnis, meine Ansichten vor Louis auszubreiten, aber es schien mir nicht der rechte Zeitpunkt dafür zu sein.
Ich erkannte plötzlich mit bedrückender Deutlichkeit, dass ich eine Verbundenheit zu den Menschen hatte, wie sie viele andere Bluttrinker nicht kannten, weil ich bis ins hohe Alter ein sterblicher Mann gewesen war. Louis war vierundzwanzig gewesen, als er mit Lestat seinen Handel um das Dunkle Blut gemacht hatte. Wie viel kann ein Mann in dieser Lebensspanne lernen, und wie viel kann er später wieder vergessen? Ich hätte diese Gedankengänge vielleicht noch länger verfolgt und sogar mit Louis darüber gesprochen, doch ich wurde abermals durch eine lästige Äußerlichkeit gestört - es war eine schwarze Katze, eine riesige schwarze Katze, die aus einem Gebüsch hervorschoss und sich unmittelbar vor uns aufbaute. Ich blieb abrupt stehen. Louis ebenfalls, doch nur meinetwegen. Die Scheinwerfer eines vorüberfahrenden Wagens trafen in die Katzenaugen, die für eine Sekunde wie reines Gold aufleuchteten, dann flitzte das Tier - wahrhaftig eine der größten Hauskatzen, die mir je untergekommen waren, offensichtlich ein recht unnormales Exemplar - so schnell zurück in die Dunkelheit, wie es aufgetaucht war.
»Das wirst du doch wohl nicht für ein böses Omen halten?«, fragte Louis, während er mich, fast als wollte er mich necken, anlächelte. »David, du bist doch nicht abergläubisch, wie die Sterblichen sagen würden.«
Ich mochte diesen Anklang von Leichtigkeit in seiner Stimme. Es gefiel mir, wenn er so sehr von dem warmen Blut angefüllt war, dass es ihn menschlich erscheinen ließ. Aber ich konnte nicht auf ihn eingehen. Die Katze hatte mir gar nicht gefallen. Ich war stinkwütend auf Merrick. Ich hätte sogar noch behauptet, dass es ihre Schuld wäre, wenn es jetzt zu regnen begonnen hätte. Ich fühlte mich von ihr herausgefordert. Ich steigerte mich regelrecht in ein gereiztes Gekränktsein. Ich sagte kein Wort. »Wann bringst du mich mit Merrick zusammen?«, fragte Louis. »Zuerst einmal ihre Lebensgeschichte«, sagte ich, »oder den Teil, der mir bekannt ist. Du solltest morgen Abend schon frühzeitig trinken, und wenn ich dann zu dir in die Wohnung komme, werde ich dir das Nötige erzählen.«
»Und dann reden wir über ein Treffen mit ihr?«
»Du kannst dich anschließend entscheiden.«
7
Als ich mich am nächsten Abend erhob, war der Himmel ungewöhnlich klar und mit Sternen gespickt, etwas für New Orleans ganz Ungewöhnliches. Eine Verheißung für alle Gottgefälligen. Meistens ist der Himmel hier wegen der hohen Luftfeuchtigkeit verhangen und zeigt weder ziehende Wolken noch Sternenschein.
Da ich kein Bedürfnis zu trinken verspürte, begab ich mich ohne Umwege zum Windsor Court Hotel, wo ich abermals die hübsche Empfangshalle betrat, die in ihrer Modernität dennoch der Eleganz eines weit älteren Hauses in nichts nachstand. Ich ging hinauf zu Merricks Suite, wo ich erfuhr, dass sie gerade ausgezogen war; ein Zimmermädchen war dabei, die Räume für einen neuen Gast in Ordnung zu bringen. Ah, sie war länger geblieben als erwartet, wenn auch nicht so lange, wie ich gehofft hatte. Da ich sie jedoch auf dem sicheren Weg zurück nach Oak Haven glaubte, erkundigte ich mich an der Information, ob sie eine Nachricht für mich hinterlassen hatte. Ja, hatte sie.
Ich las sie erst, als ich allein draußen im Freien stand. »Bin auf dem Weg nach London, um die paar Sachen aus dem Safe zu entnehmen, die unseres Wissens in Zusammenhang mit dem Kind stehen.« So weit waren die Dinge also gediehen!
Sie bezog sich natürlich auf den Rosenkranz und das Tagebuch, das unsere Feldarbeiterin Jesse Reeves vor mehr als zehn Jahren in dem Apartment in der Rue Royale gefunden hatte. Und wenn mich meine Erinnerung nicht trog, gab es noch ein paar andere Dinge, die wir vor hundert Jahren in einem verlassenen Hotelzimmer in Paris entdeckt hatten, das, wie Gerüchte uns glauben ließen, von Vampiren bewohnt worden war. Ich war beunruhigt.
Aber was hatte ich erwartet? Dass Merrick mir meine Bitte abschlagen würde?
Jedenfalls hatte ich nicht vorausgesehen, dass sie derart schnell handeln würde. Ich
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