Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Titel: Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
Das meinte ich ehrlich. Sie seufzte rasselnd, den Blick auf die Zimmerdecke geheftet. »Ich habe Schmerzen«, sagte sie. »Ich möchte sterben. Ständig habe ich Schmerzen. Ihr denkt, dass ich das ändern könnte, dass ich Zaubersprüche gegen die Schmerzen kenne. Ja, für andere, da habe ich Beschwörungen, aber für mich? Wer kann den Zauber wirken? Außerdem - meine Stunde ist gekommen, und sie kommt, wie sie will. Ich habe hundert Jahre gelebt.«
    »Ich glaube Ihnen«, sagte ich; ihre Bemerkung, dass sie Schmerzen hatte, und ihre offensichtliche Wahrhaftigkeit verstörten mich. »Ich versichere Ihnen, dass Sie mir Merrick überlassen können.«
    »Wir werden Ihnen Pflegerinnen schicken«, sagte Aaron. Aaron kümmerte sich stets um die praktischen Seiten, um die Notwendigkeiten. »Wir sorgen dafür, dass noch heute Nachmittag ein Arzt kommt. Sie brauchen nicht zu leiden, das muss nicht sein. Lassen Sie mich nur die notwendigen Anrufe machen. Das wird nicht lange dauern.«
    »Nein, keine Fremden in meinem Haus«, sagte sie, während sie erst ihn ansah und dann zu mir aufblickte. »Nehmen Sie mein Patenkind mit, Sie beide. Nehmen Sie sie mit und alle meine Besitztümer aus diesem Haus. Merrick, erzähl ihnen alles, was ich dir gesagt habe. Erzähl ihnen alles, was deine Onkel dich gelehrt haben und deine Tanten und deine Urgroßmütter. Der da, der Große mit den dunklen Haaren -«, sie schaute mich dabei an -, »er weiß Bescheid über die Schätze, die du von Cold Sandra hast; vertrau ihm. Erzähl ihm von Honey in the Sunshine. Manchmal spüre ich, dass dich böse Geister umgeben, Merrick …« Wieder sah sie mich an. »Halten Sie die bösen Geister von ihr fern, Engländer. Sie wissen über die Magie Bescheid. Ich verstehe nun, was mein Traum bedeutet.«
    »Honey in the Sunshine, was heißt das?«, fragte ich. Erbittert schloss sie ihre Augen und presste die Lippen zusammen. Es war ein sprechender Ausdruck des Schmerzes. Merrick schien zu schaudern und zum ersten Mal dem Weinen nahe zu sein. »Sei nicht traurig, Merrick«, sagte die alte Frau schließlich. Sie zeigte mit dem Finger, ließ die Hand jedoch sogleich wieder fallen, als wäre sie zu schwach, die Geste zu Ende zu führen.
    Plötzlich versuchte ich mit allen Kräften, die Gedanken der alten Frau zu lesen. Aber ohne Erfolg, außer vielleicht, dass ich sie erschreckt hatte, wo sie doch Ruhe gebraucht hätte. Hastig versuchte ich, den Ausrutscher wieder gutzumachen. »Vertrauen Sie uns, Madam«, sagte ich abermals dringlich. »Sie schicken Merrick auf den richtigen Weg.« Sie schüttelte den Kopf.
    »Sie glauben, Magie sei einfach«, flüsterte sie. Wieder trafen sich unsere Blicke. »Sie glauben, Sie überqueren einen Ozean und können so die Magie hinter sich zurücklassen. Sie glauben, les mystères sind nicht real.«
    »Nein, das stimmt nicht.«
    Abermals lachte sie, ein leises, spöttisches Lachen. »Sie, englischer Mann, haben nie ihre ganze Macht erlebt«, sagte sie. »Sie haben Dinge zum Zittern und Beben gebracht, aber das war auch alles. Sie mit ihrem Candomble waren ein Fremder in einem fremden Land. Sie haben Oxalá vergessen, aber er hat Sie nie vergessen.«
    Ich sah meine Haltung dahinschwinden.
    Sie schloss die Augen, und ihre Finger krümmten sich um Merricks schmales Handgelenk. Ich hörte den Rosenkranz des Priesters klappern, und dann wehte das Aroma von frisch gebrühtem Kaffee, vermischt mit dem lieblichen Duft des fallenden Regens, herüber.
    Es war ein überwältigender, trostreicher Augenblick - die dichte Feuchte des New-Orleans-Frühlings, der sanfte Regen, der rings um uns niederging, und das leise Murren fernen Donners. Ich roch das Wachs der Kerzen und die Blumen auf dem Schrein, und dann waren da wieder die menschlichen Ausdünstungen des Krankenbettes. Das alles schien sich zu perfekter Harmonie zusammenzufüge n, selbst die Gerüche, die wir sonst als abstoßend und streng empfinden. Die alte Frau erlebte wirklich ihre letzte Stunde, und dieses Duftgemisch war nur natürlich. Wir mussten es übergehen, mussten nur sie sehen und sie lieben. Das allein war jetzt wichtig.
    »Ah, hört, ist das Donner?«, fragte die Große Nananne. Wieder blitzen ihre Augen mich an. Sie sagte: »Ich gehe heim.« Nun hatte Merrick doch Angst. Ihre Augen waren weit aufgerissen, und ich sah, dass ihre Hand zitterte. Als sie das Gesicht der alten Frau durchforschte, schien sie entsetzt. Die Augen der Alten rollten, und sie schien den Rücken tief in

Weitere Kostenlose Bücher