Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs
worden, so dass die Räume sich abkühlten.
Als ich zum dritten Mal ins Haus trat, bemerkte ich, dass für das Begräbnis der Großen Nananne gesammelt wurde. Eine Porzellanschale stand auf dem Altar, die schon von Zwanzigdollarscheinen überquoll. Was Merrick anging, so zeigte sie wenig oder gar keine Emotionen, während sie jedem, der seinen Besuch abstattete, zunickte. Doch man sah ihr an, dass sie wie betäubt und ganz elend war.
Stunde um Stunde verging. Immer noch kamen Leute, kamen und gingen unter respektvollem Schweigen und nahmen ihre Konversation erst wieder auf, wenn sie ein gutes Stück außer Reichweite des Hauses waren. Ich hörte die Gespräche der elegant gekleideten farbigen Frauen, die sich in einem gezierten Südstaatenakzent miteinander unterhielten, der sehr stark von dem Englisch der amerikanischen Schwarzen abwich, das ich bisher gehört hatte.
Aaron versicherte mir flüsternd, dass das hier nicht unbedingt ein Beispiel dafür war, wie Kondolenzbesuche in New Orleans abliefen. Die Leute hier benahmen sich völlig anders. Sie waren einfach zu still.
Ich erkannte unschwer, woran das lag. Die Leute hatten vor der Großen Nananne Angst gehabt. Sie hatten Angst vor Merrick. Sie vergewisserten sich, dass Merrick sie auch sah. Sie ließen jede Menge Zwanzigdollarscheine da. Eine Aussegnung war nicht vorgesehen, und die Leute wussten nicht, was sie davon halten sollten. Sie dachten, ein Gottesdienst wäre nur angemessen. Aber Merrick erklärte, dass die Große Nananne das nicht wollte. Aaron und ich waren abermals hinaus in die Gasse gegangen und rauchten eine Zigarette, als ich sah, dass sein Gesicht einen Ausdruck von Besorgnis annahm. Mit einer unauffälligen Geste bedeutete er mir, auf einen teuren Wagen zu achten, der gerade am Bordstein hielt.
Zwei eindeutig Weiße stiegen aus - ein recht ansehnlicher junger Mann und eine streng wirkende Frau mit einer großen metallgefassten Brille auf der Nase. Sie erklommen ohne Umschweife die Stufen und wichen bewusst den Blicken der Leute aus, die noch abwartend herumlungerten.
»Das sind weiße Mayfairs«, zischte Aaron mir zu. »Sie dürfen mich hier nicht sehen.« Gemeinsam zogen wir uns tiefer in den Seitenweg zurück, hin zum Hintereingang. Erst als uns ein gewaltiger Blauregen den Weg versperrte, blieben wir stehen. »Aber was hat das zu bedeuten?«, fragte ich. »Die weißen Mayfairs! Warum sind sie gekommen?«
»Offensichtlich fühlen sie sich dazu verpflichtet«, flüsterte Aaron. »Wirklich, David, du musst jetzt still sein. Es gibt nicht einen in dieser Familie, der nicht irgendeine übersinnliche Fähigkeit hat. Du weißt, ich habe vergeblich versucht, mit ihnen in Kontakt zu treten. Ich will hier nicht gesehen werden.«
»Aber wer sind die beiden?« Ich drängte auf Antwort. Ich wusste, dass über die Mayfair-Hexen eine fette Akte existierte. Und ich wusste, dass Aaron seit Jahren damit befasst war. Ja, ich wusste es, aber für mich als Generaloberst war es nur eine Geschichte unter Tausenden.
Und dies alles hier war mir zu Kopf gestiegen - das exotische Klima, das seltsame alte Haus, die Hellsichtigkeit der alten Frau, die wuchernden Unkräuter und der ständige Wechsel zwischen Regen und Sonne. Ich fühlte mich so angeregt, als ob ich Geister sähe.
»Das sind die Familienanwälte«, sagte Aaron mit gedämpfter Stimme, wobei er versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie ungehalten er über mich war. »Lauren Mayfair und der junge Ryan. Sie wissen nichts, sei es über Voodoo oder Hexen, ob hier oder in dem anderen Stadtviertel, aber sie wissen mit Sicherheit, dass die Frau mit ihnen verwandt war. Die Mayfairs, sie drücken sich nicht vor Verantwortung, wenn es um die Familie geht, aber ich hätte nie erwartet, sie hier zu sehen.«
Als er mich gerade abermals ermahnte, still zu sein und ihnen nicht über den Weg zu laufen, hörte ich Merrick drinnen sprechen. Ich schob mich an die zerbrochenen Scheiben des Besuchersalons, doch ich konnte nichts verstehen. Aaron lauschte ebenfalls. Kurze Zeit später traten die weißen Mayfairs aus dem Haus und fuhren mit ihrem nagelneuen Wagen davon. Erst dann stieg Aaron die Treppe hinauf. Der letzte Trauergast entfernte sich eben. Die, die noch draußen auf dem Gehweg standen, hatte schon ihre Aufwartung gemacht. Ich folgte Aaron in das Zimmer der Großen Nananne.
»Die Merricks aus dem besseren Viertel, haben Sie sie gesehen?«, fragte Merrick leise. »Sie wollten alle Kosten übernehmen. Ich
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