Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
Vater nicht einfach in ihre Obhut gegeben? Ich wäre die beiden los gewesen, wäre dieser Bürde ledig gewesen, die ich nun seit den frühesten Nächten meines Daseins als Untoter mit mir herumschleppte. Warum hatte ich es nicht einfach getan? Es wäre so einfach gewesen. Und ich wäre frei! Und als ich dieses böse Verlangen in mir erkannte, als ich es aufflammen sah wie ein Feuer unter dem Blasebalg, wurde mir klar, dass ich mir während jener langen Nächte auf See, während unserer Reise nach Konstantinopel, im Stillen gewünscht hatte, dass unser Schiff untergehen, dass wir sinken würden und Jene, die bewahrt werden müssen unwiederbringlich auf dem Meeresgrund lägen. Ich selbst hätte jedes Schiffsunglück überleben können. Aber sie, sie wären dort unten begraben gewesen, so wie es der Älteste einst in Ägypten fluchend immer wieder zu mir gesagt hatte: »Warum versenke ich sie nicht im Meer?«
Ach, das waren fürchterliche Gedanken. Ich liebte Akasha doch? Hatte ich ihr nicht meine Seele verpfändet? Ich wurde von Selbsthass verzehrt und von der fürchterlichen Vorstellung, dass Akasha mein armseliges Geheimnis kannte: dass ich sie loswerden wollte, dass ich sie alle loswerden wollte – Avicus, Mael und vor allem Eudoxia –, dass ich rastlos umherziehen wollte, ein Vagabund wie so viele Bluttrinker, ohne Namen, ohne Heimat, ohne Ziel, nur allein.
Diese Gedanken schufen eine Kluft zu allem, was mir etwas wert war. Ich musste sie aus meinem Kopf verbannen. Aber ehe ich wieder klar denken konnte, stürmten Avicus und Mael in die Bibliothek. Etwas stiftete vor dem Haus Unruhe.
»Hörst du das?«, fragte Avicus ganz aufgelöst.
»Ihr Götter«, sagte ich, »was schreien die Leute da draußen?« Ich hörte ein ziemliches Getöse, einige Leute schlugen gegen unsere Fenster und Türen und warfen mit Steinen. Schon gaben die hölzernen Läden beinahe nach.
»Was ist da los? Was soll das?«, fragte Mael verzweifelt.
»Hört doch!«, sagte ich verzagt. »Sie behaupten, wir hätten einen reichen Kaufmann ins Haus gelockt und ihn ermordet, um seinen Leichnam in der Gosse verrotten zu lassen! Oh, verdammte Eudoxia! Seht ihr, was sie gemacht hat? Sie hat doch den Kerl ermordet! Und nun hat sie diesen Mob auf uns gehetzt. Wir schaffen es noch so eben in den Schrein!«
Ich ging ihnen zu dem Eingang voran, hob die schwere Marmortür an, und bald waren wir in dem Gang verschwunden, wussten aber recht gut, dass wir dort zwar geschützt waren, unser Haus aber nicht verteidigen konnten. Uns blieb nur, hilflos mit anzuhören, wie der Mob eindrang, unsere Bleibe plünderte, meine neue Bibliothek und meinen gesamten Besitz zerstörte und das Haus schließlich in Flammen aufgehen ließ.
Als es endlich oben still geworden war und nur noch ein paar Plünderer sich zwischen rauchenden Balken ihren Weg suchten, verließen wir den unterirdischen Gang und starrten angewidert auf dieses Zerstörungswerk. Wir verscheuchten den Pöbel, versicherten uns, dass der Eingang zum Schrein immer noch gut verborgen war, und dann begaben wir uns in eine überfüllte Schenke, wo wir, mitten unter Sterblichen, an einem Tisch reden konnten. Ein solcher Rückzug war für uns ja eigentlich ganz undenkbar, aber was blieb uns übrig?
Ich erzählte Avicus und Mael, was in dem Schrein geschehen war, dass Die Mutter Eudoxia fast ihr gesamtes Blut ausgesaugt und ich Eudoxia durch meine Einmischung gerettet hatte. Dann erläuterte ich die Sache mit dem Kaufmann, denn sie hatten gesehen, wie er ins Haus herein- und wieder hinausgeschafft worden war, ohne zu wissen, was geschah.
»Sie haben die Leiche irgendwo hingeworfen, wo man sie finden musste«, sagte Avicus. »Dann haben sie die Leute mit Geld bestochen, damit sie sich zusammenrotteten.«
»Ja. Unsere Bleibe ist dahin«, sagte ich schließlich, »und der Schrein ist für uns erst einmal nicht zugänglich, bis ich einige komplizierte juristische Maßnahmen ergriffen habe, um, was eigentlich mir gehört, unter einem anderen Namen neu kaufen zu können. Außerdem wird die Familie des Kaufmanns fordern, dass die unglückselige Person – also ich unter meinem vormaligen Namen, wenn ihr mir folgen könnt – ihre gerechte Strafe bekommt; dann kann ich den Besitz vielleicht überhaupt nicht wieder erwerben.«
»Was erwartet Eudoxia von uns?«, fragte Avicus. Mael sagte empört: »Das ist eine Beleidigung gegen Jene, die bewahrt werden müssen. Sie weiß, dass sich der Schrein unter dem Haus
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