Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
glaube ich nicht«, sagte ich. Aber die Zeit lief ab.
»Geh zu ihnen, Kind, ruf sie!«, sagte ich. »Sag ihnen, sie sollen dich mit sich nehmen.«
»Nein, Herr. Sie sind vielleicht nicht real«, sagte er. »Womöglich sind sie Traumgespinste meines fiebernden Hirns. Phantome, gehüllt ins Kleid der Erinnerung. Aber ich weiß, was Ihr seid, Herr. Ich will Das Blut. Ich habe es gekostet, Herr. Ich will bei Euch bleiben. Und wenn Ihr mir das verweigert, dann lasst mich in Biancas Armen sterben! Schickt mir meine sterbliche Pflegerin, Herr, denn sie kann mich besser trösten als Ihr mit Eurer Kälte. Ich will in ihrer Gegenwart sterben.« Erschöpft sank er in das Kissen zurück.
Verzweifelt biss ich mir in die Zunge und flößte ihm Das Blut ein. Aber das Gift war schneller, es raste durch seinen Körper. Als das Blut ihn wärmend durchströmte, lächelte er, und Tränen standen ihm in den Augen.
»Mein schöner Marius«, sagte er, als wäre er älter, als ich selbst je werden könnte. »Mein schöner Marius, du schenktest mir Venedig. Mein schöner Marius, nun schenk mir Das Blut.«
Es blieb uns keine Zeit mehr. Ich weinte jämmerlich.
»Willst du es wirklich, Amadeo?«, fragte ich. »Du musst es sagen: Sag, dass du auf ewig dem Licht der Sonne entsagen willst, dass du auf ewig vom Blut der Übeltäter leben willst, wie ich es tue.«
»Das will ich, ich schwöre es«, antwortete er. »Du willst ewig leben, ohne dass deine Gestalt sich je verändert? Dich von Sterblichen nähren, die du nie wieder als Bruder und Schwester ansehen kannst?«
»Ja, unveränderlich«, gab er zurück, »und unter Sterblichen, obwohl sie mir nie mehr Bruder oder Schwester sein werden.« Abermals gab ich ihm den blutigen Kuss. Und dann nahm ich ihn auf meine Arme und trug ihn ins Bad. Ich zog ihm die befleckten Kleider aus dickem Samtstoff aus und setzte ihn in das warme Wasser, dann heilte ich mit Dem Blut aus meinem Munde alle Wunden, die Lord Harlech ihm zugefügt hatte. Den spärlichen Bartwuchs, den er schon hatte, rasierte ich ihm ab, für alle Ewigkeit. Dann war er bereit für den Zauber, bereit wie jemand, der geopfert wird. Sein Herz schlug ganz langsam, und seine Lider waren so schwer, dass er die Augen nicht mehr offen halten konnte. Ich zog ihm ein schlichtes langes Hemd an und trug ihn aus dem Bad. Draußen standen die anderen ängstlich wartend. Ich weiß nicht mehr, welche Lügen ich ihnen auftischte. In welchem Wahn ich in diesem Moment befangen war. Ich betraute Bianca mit der Aufgabe, die anderen zu trösten, ihnen für ihre Hilfe zu danken und zu erklären, dass Amadeos Leben bei mir in sicherer Hut war.
»Du kannst ruhig gehen, meine Schöne«, sagte ich zu ihr. Amadeo im Arm haltend, küsste ich sie. »Vertrau mir jetzt, und ich werde dafür sorgen, dass dir nie ein Leid geschieht.« Ich sah, dass sie mir vertraute. Sie fühlte keine Furcht mehr. Und wenige Augenblicke später waren Amadeo und ich allein. Ich brachte ihn in den schönsten Saal, den, den ich mit der Kopie von Gozzolis herrlichem Gemälde Der Zug der Heiligen Drei Könige ausgeschmückt hatte – ein Diebstahl mit den Augen, um mein künstlerisches Geschick und mein Gedächtnis auf die Probe zu stellen.
Mitten in dieser reichen Farbenpracht stellte ich Amadeo auf den kalten Marmor, und mit einem weiteren blutigen Kuss verabreichte ich ihm die größte Menge Blut, die er bisher von mir empfangen hatte.
Mit der Gabe des Feuers entzündete ich die Kandelaber entlang der beiden Längswände, sodass das Gemälde in helles Licht getaucht war.
»Du kannst allein stehen, mein gesegneter Schüler«, sagte ich zu ihm. »Nach dem Gift rinnt nun mein Blut durch deine Adern. Wir haben begonnen.«
Er zitterte, hatte Angst, mich loszulassen, sein Kopf hing herab, als wäre er ein schweres Gewicht, sein üppiges Haar fiel weich über meine Hände.
»Amadeo«, sagte ich, während ich abermals einen Schwall Blut von meinen Lippen in seinen Mund fließen ließ, »wie nannte man dich damals, in jenem vergessenen Land?« Noch einmal gab ich ihm von Dem Blut. »Erinnere dich deiner Vergangenheit, Kind, und mache sie zu einem Teil deiner Zukunft.« Er öffnete die Augen weit. Ich trat einige Schritte zurück, sodass er ohne Hilfe stand. Ich ließ meinen roten Samtumhang fallen und stieß ihn mit dem Fuß beiseite.
»Komm her zu mir«, sagte ich und breitete die Arme aus. Er hatte schon so viel Blut von mir bekommen, dass selbst das Licht ihm staunenswert erschien.
Weitere Kostenlose Bücher