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Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Titel: Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Deshalb war sein erster Schritt unsicher, doch seine Augen wanderten über die unzähligen Gestalten auf dem Wandbild. Dann schaute er mich an. Wie wissend, wie schlau war sein Ausdruck! Welcher Triumph drückte sich in seiner stummen, abwartenden Haltung plötzlich aus. Und welch tiefe Verdammnis.
    »Komm, Amadeo, komm, trink von mir«, sagte ich mit Tränen in den Augen. »Du hast gesiegt. Nimm, was ich zu geben habe.« Dann lag er in meinen Armen, und ich hielt ihn liebevoll umfangen und flüsterte ihm ins Ohr: »Hab keine Angst, Kind, auch nicht eine Sekunde. Ich trinke nun dein Blut, doch ich gebe es dir wieder zurück. Du wirst jetzt sterben, damit du ewig leben kannst. Ich werde dich nicht einfach fortschlüpfen lassen ins Jenseits.«
    Ich bohrte meine Zähne in seine Kehle, und als ich sein Blut in mir aufnahm, schmeckte ich das Gift, doch mein Körper vernichtete es und nahm sein Blut mühelos in sich auf – er hätte leicht ein Dutzend solcher Jünglinge vertragen können. Und dann erschienen die Bilder aus Amadeos Kindheit in meinem Geist – das russische Kloster, wo er die makellosen Ikonen gemalt hatte, die kalten Zellen, in denen er gelebt hatte. Halb eingemauerte Mönche erblickte ich, die sich ewigem Fasten verschrieben hatten und nur das Allernötigste an Nahrung zu sich nahmen. Ich roch die feuchte Erde, roch Verwesung. Was für ein grausiger Weg zum Heil war das! Und er hatte dazugehört, fast verliebt in diese Opferzellen und ihre verhungernden Bewohner, nur weil er die Gabe zu malen hatte.
    Dann sah ich für einen Sekundenbruchteil nichts als seine Gemälde, die Bilder überschlugen sich förmlich – verzückte Christusgesichter, die Heilige Jungfrau, mit kostbaren Steinen geschmückte Heiligenscheine. Ach, welche Schätze in diesem düsteren, freudlosen Kloster! Und dann plötzlich das hallende, dröhnende Lachen seines Vaters, der ihn aus dem Kloster fortholen wollte, damit er mit ihm in die Steppe hinausritt, wo die Tataren lauerten.
    Prinz Michael, ihr Herrscher, schickte Amadeos Vater in die Steppe. Es war eine törichte Mission. Die Mönche wehrten sich vehement dagegen, dass Amadeo einer solchen Gefahr ausgesetzt werden sollte. Sie schlugen die Ikone in ein Tuch ein und übergaben sie Amadeo, und dann tauchte er aus der Dunkelheit, aus dem grimmigen Erdloch des Klosters ans helle Tageslicht. Ich hielt inne, trank nicht länger und entzog mich so den Visionen. Nun kannte ich Amadeo. Ich kannte die beharrliche, hoffnungslose Finsternis, die in ihm herrschte. Ich kannte das von Hunger und harter Disziplin geprägte Leben, das einst für ihn vorgesehen war.
    Ich riss mir die Ader an der Kehle auf und zog seinen Kopf zu mir heran.
    »Trink«, sagte ich. »Leg den Mund auf die Wunde und trink.« Schließlich gehorchte er, und dann sog er plötzlich, so fest er konnte. Hatte er nicht Das Blut oft genug gekostet, um sich danach zu verzehren? Und nun floss es stetig und wurde ihm nicht mehr zugemessen, und er trank mit Leidenschaft, und ich schloss die Augen und fühlte endlich wieder die unbeschreibliche Süße, die ich das letzte Mal vor langer, langer Zeit gespürt hatte, in jener Nacht, als ich meiner gepriesenen Zenobia Das Blut gab, damit sie Kraft zum Überleben bekam.
    »Sei mein Kind, Amadeo«, flüsterte ich überwältigt, »mein Kind für alle Zeiten. Liebte ich je jemanden mehr als dich?« Ich schob ihn von der Wunde fort, und als er aufschrie, bohrte ich meine Zähne abermals in seinen Hals. Dieses Mal schmeckte ich mein Blut, gemengt mit seinem. Kein Gift mehr! Wieder sah ich die Ikonen, sah die düsteren Gänge des Klosters, sah Schnee fallen und die beiden auf ihren Pferden, Amadeo und seinen Vater. Amadeo hielt die Ikone, und der Priester lief neben ihm und erklärte, dass er das Bildnis in einen Baum legen müsse, und wenn die Tataren es fänden, würden sie an ein Wunder glauben. Amadeo, so unerfahren er aussah, war ein kühner Reiter, weshalb Prinz Michael ihn für diese Aufgabe ausgewählt hatte. Nun ritt er mit seinem Vater durch heftigen Schneesturm, das Haar vom Wind gepeitscht.
    Und das war dein Verderben. Lass das alles hinter dir zurück. Jetzt hast du gesehen, wie es wirklich war. Sieh dieses phantastische Gemälde hier an der Wand, Amadeo. Richte den Blick auf die Schätze, die ich dir gegeben habe. Richte den Blick auf den Glanz und die wahren Werte, die der vielfältigen und großartigen Schönheit innewohnen, wie du sie hier vor dir siehst. Ich ließ ihn los. Sein

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