Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
Lord Harlechs Klinge ihm zugefügt hatte.
»Lasst mich mit ihm allein«, sagte ich leise zu den Anwesenden. Niemand protestierte. Ich hörte, wie sich die Türflügel schlossen. Ich beugte mich zu Amadeo und biss mir, wie ich es schon oft gemacht hatte, in die Zunge, dann ließ ich das Blut auf den hässlichen Schnitt tropfen. Stumm sah ich zu, wie die Wunde heilte. Wieder schlug Amadeo die Augen auf. Er sah mich und murmelte: »Oh, Marius.«
Nie zuvor hatte er mich mit meinem Namen angesprochen.
»Marius ist hier«, sagte er. »Warum haben mir die Priester nichts davon gesagt? Sie sagten nur, meine Zeit sei noch nicht gekommen.« Ich hob seine rechte Hand an. Auch dort hatte Lord Harlechs Klinge getroffen, und ich drückte einen Kuss darauf und beobachtete auch hier die wunderbare Heilung, die Das Blut bewirkte. Amadeo erbebte. Es musste ihn schmerzen, und einen Augenblick zogen sich seine Lippen von den Zähnen zurück, doch dann sank er in die Kissen, als glitte er in einen tieferen Schlaf. Das Gift fraß in ihm, das sah ich mit grausamer Deutlichkeit. Er lag im Sterben, egal, was ihm seine Visionen gezeigt hatten, und auch ein kurzer, gehauchter Kuss mit Dem Blut brachte ihm keine Rettung mehr.
»Glaubst du, was sie sagten?«, fragte ich ihn. »Glaubst du, dass deine Zeit noch nicht gekommen ist?« Zögernd, von Schmerzen gepeinigt, öffnete er die Augen.
»Herr, sie haben mich zu dir zurückgeschickt«, antwortete er. »Ach, wenn ich mich doch nur an alles erinnern könnte, was sie sagten! Aber sie warnten mich ja, dass ich es vergessen würde.
Warum bin ich nur hierher geraten, Herr?« Es fiel ihm schwer, aber er wollte sich nicht beruhigen, sondern sprach weiter: »Warum bin ich nur aus einem fernen Land gerissen und zu Euch gebracht worden? Ich erinnere mich, dass ich über eine grasbewachsene Ebene ritt. Ich erinnere mich an meinen Vater. Und beim Reiten, da hielt ich eine Ikone an mich gedrückt, von mir selbst gemalt, und mein Vater war ein berühmter Reiter, ein großer Kämpfer, und böse Männer machten sich über uns her, Tataren, und mich nahmen sie mit, und, Herr – die Ikone, sie fiel ins hohe Gras. Herr, jetzt weiß ich es. Ich glaube, sie töteten meinen Vater, als sie mich verschleppten.«
»Sahst du auch ihn in diesen Träumen, Kind?«, fragte ich.
»Nein, Herr. Aber dann – ich erinnere mich nicht.« Er musste husten, und als es vorbei war, atmete er tief, als habe er zu nichts anderem Kraft.
»Ich weiß, dass ich die Ikone gemalt hatte, und wir sollten sie in einem Baum unterbringen, es war eine heilige Aufgabe. Die Steppe – das Grasland – war gefährlich, Herr, aber mein Vater pflegte dort zu jagen. Ihm machte nichts Angst, und ich konnte ebenso gut reiten wie er. Herr, ich weiß jetzt, wie ich früher lebte, ja, aber ich kann Euch nicht erzählen…«
Seine Stimme versagte plötzlich, und sein ganzer Körper erschauerte abermals.
»Der Tod kommt, Herr«, hauchte er, »und sie sagten doch, meine Zeit sei noch nicht gekommen.«
Ich wusste, dass sein Leben nur noch Augenblicke währen konnte. Hatte ich jemals jemanden mehr geliebt? Hatte ich je einem Sterblichen meine Seele weiter enthüllt? Wenn ich nun Tränen vergoss, würde er sie sehen. Wenn ich erbebte, er würde es merken.
Auch mich hatte man vor langer Zeit gefangen genommen, so wie ihn! Hatte ich ihn mir darum erwählt? – Weil diebische Schurken ihn aus seinem normalen Leben gerissen hatten, so wie es mir geschehen war?
Und deshalb wollte ich ihm dieses erhabene Geschenk machen, das Geschenk der Ewigkeit. War er ihrer nicht in jeder Hinsicht wert? Ja, er war jung, aber wie könnte es ihm schaden, auf ewig schön zu sein, mit der Herrlichkeit eines Jünglings? Er war nicht Botticelli. Er war kein erwachsener Mann, keine Berühmtheit mit großem Talent.
Er war ein sterbender Jüngling, an den sich außer mir kaum jemand erinnern würde.
»Wie konnten sie das nur sagen – dass meine Zeit nicht gekommen sei?«, flüsterte er.
»Sie haben dich zu mir zurückgeschickt!« Ich keuchte. Ich konnte es nicht länger ertragen.
»Amadeo, glaubtest du den heiligen Männern, die du sahst? Glaubst du an die gläserne Stadt? Sag!« Er lächelte. Und wie schön dieses Lächeln auch war, unschuldig war es nicht.
»Weint nicht um mich, Herr«, entgegnete er. Die Augen weit aufgerissen, versuchte er, sich ein wenig aus den Kissen hochzustemmen. »Als die Ikone ins Gras fiel, war mein Schicksal besiegelt.«
»Nein, Amadeo, das
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