Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
gewesen, als ich Biancas Weinen vernahm –, aber es von ihren eigenen Lippen zu hören und mit solchem Nachdruck, das war mehr, als ich je erwartet hatte, und von Anfang an hatte ich gewusst, dass es der einzige Ausweg wäre. Aber ich musste überlegen! Nicht nur um ihretwillen, nein, auch um meinetwillen. Wenn ich erst einmal meinen Zauber gewirkt hatte – immer vorausgesetzt, dass ich überhaupt Kraft genug dazu hatte –, wie dann sollten wir zu zweit, schwach, wie wir waren, in Venedig für das benötigte Blut auf die Jagd gehen und anschließend die lange Reise nordwärts schaffen? Als Sterbliche könnte sie mich zu dem Alpenpass, wo der Schrein war, mit Hilfe eines Wagens und bewaffneter Leibwachen bringen; dann würde ich in den letzten Stunden der Nacht heimlich allein zu der Kapelle gehen. Aber als Bluttrinker müsste sie den Tag mit mir zusammen verschlafen, und wir wären in unseren Sarkophagen beide auf Gedeih und Verderb denen ausgeliefert, die den Wagen begleiteten. Ich konnte es mir im Moment nicht vorstellen. Mit Kopfschütteln versuchte ich ihre Umarmung abzuwehren, damit sie nicht fühlen musste, wie starr und vertrocknet mein Körper geworden war.
»Gib mir Das Blut«, drängte sie jetzt abermals, »du hast die Kraft dazu, nicht wahr, edler Herr? Und dann bringe ich dir so viele Opfer, wie du willst! Ich sah, wie sich Amadeo hinterher verändert hatte. Das musste er mir nicht erst zeigen. Ich werde ebenso stark sein, oder nicht? Gib mir Antwort, Marius! Oder sag mir, wie ich dich sonst kurieren soll! Sag’s mir! Wie ich dich heilen, dir Erleichterung von deinem Leiden verschaffen kann.« Ich konnte nicht sprechen. Ich war zerrissen vor Verlangen nach ihr und vor Zorn über ihre Verschwörung mit Amadeo. Aber ganz tief in meinem Innern verging ich vor Verlangen, sie hier und jetzt zu nehmen. Nie war sie mir lebendiger vorgekommen, nie menschlicher und so vollkommen natürlich in ihrer rosigen Schönheit – die nicht verderben durfte.
Sie nahm sich etwas zurück, als hätte sie gemerkt, dass sie mich zu sehr gedrängt hatte. Ihre Stimme wurde weicher, blieb jedoch eindringlich.
»Erzähl noch einmal, wie alt du bist; davon, dass es Venedig und auch Florenz noch nicht gab, als du schon Marius warst. Erzähl es mir noch einmal.«
Ich stürzte mich auf sie. Sie hätte unmöglich entkommen können. Ich glaube tatsächlich, dass sie versuchte zu entkommen. Auf jeden Fall schrie sie. Aber das hörte niemand tief unten in diesem goldenen Gelass.
Ich stieß die Maske zur Seite, hielt ihr mit einer Hand die Augen zu und bohrte ihr meine Zähne in die Kehle. Ihr Blut schoss mir entgegen! Immer schneller schlug ihr Herz, und kurz bevor es stehen blieb, ließ ich heftig zitternd von ihr ab und schrie ihr ins Ohr: »Bianca, wach auf!«
Gleichzeitig riss ich mir das Handgelenk auf, bis Blut hervorsickerte, das ich an ihren Mund, gegen ihre Zunge presste. Ich hörte, wie sie ein Zischen von sich gab, und dann schloss sich ihr Mund über der Wunde, wobei sie hungrig wimmerte. Ich zog den Arm noch einmal weg, weil das verbrannte Fleisch nicht nachgab, und schlitzte ihn abermals auf.
Ach, das Blut reichte nicht für sie – ich war zu stark verbrannt, zu schwach –, und währenddessen raste ihr Blut durch meine Adern und zwang sich durch die geschrumpften, verbrannten, vor kurzem noch lebenden Zellen. Immer wieder riss ich mir das verkrüppelte, knochige Gelenk auf und drängte es gegen ihren Mund, doch vergebens. Sie starb! Das Blut, das sie mir gegeben hatte, war von meinem Körper verschlungen worden. Es war ausweglos! Ich konnte es nicht ertragen – zu sehen, wie das Leben meiner Bianca einer Kerze gleich verlosch. Also stolperte ich die Stufen hinauf, kümmerte mich nicht um Schwäche oder Schmerz, schweißte Geist und Herz zu einer Macht zusammen, und dann richtete ich mich auf und öffnete die Bronzetür.
Am Kopf der Treppe angekommen, rief ich ihrem Bootsführer zu: »Beeil er sich!«, und drehte mich sofort wieder um, damit er mir folgte, was er auch tat. Doch er war noch keine Sekunde in dem Gebäude, da fiel ich über den Ahnungslosen her und saugte ihm das Blut bis auf den letzten Tropfen aus. Und dann, atemlos von der Erleichterung und der Wonne, die mir das schenkte, eilte ich zurück in die Kammer, wo Bianca immer noch sterbend lag, wie ich sie verlassen hatte.
»Komm jetzt, Bianca, trink, es gibt mehr Blut«, flüsterte ich ihr ins Ohr, während ich ihr mein zerfetztes Handgelenk
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