Chroniken der Jägerin 3
seinen tätowierten Schwanz über meine Wangen und Augenbrauen drapierte und seine kleinen Klauen meine Augenlider bedeckten.
Langsam drehte ich mich um mich selbst und hielt nach der Botin Ausschau.
Grant, der gerade sein Jackett ausziehen wollte, hielt mitten in der Bewegung inne. »Ich sehe da etwas, hinter den Felsen. Dort steigt Energie auf, wie eine Hitzewelle.«
»Wonach sieht es aus?«
»Sie ist gedämpft«, sagte er, wickelte sich seinen Mantel um die Hüften und nahm den Stock. »Sie leuchtet nur mit halber Kraft, als wäre alles Strahlende und Vibrierende in ihr versiegt.«
»Wahrscheinlich siehst du ganz anders aus als alles, was sie gewohnt ist.«
»Auf jeden Fall ist es beunruhigend.« Er sagte nichts weiter und schien besorgt. Mir gefiel das auch nicht besser als ihm. Und es wurde nicht einfacher, als ich sie sah.
Wir fanden die Botin mit gekreuzten Beinen in dem brennenden Sand auf der anderen Seite der Felskuppe sitzen. Sie starrte vom Felsen herab zur fernen Wüstenebene. Ihre Finger waren ineinander verschränkt, ihr Rücken gerade. Wir waren nicht leise, als wir näher herantraten, aber sie schaute uns nicht an und bewegte sich nicht. Nicht, bis wir fast auf ihrer Höhe waren.
»Ihr«, sagte sie mit einem überraschenden Unterton von Überdruss in ihrer Stimme. Überdruss, Enttäuschung und Ärger.
Sie war nicht allein.
Drei Männer saßen zusammengesackt auf den Felsen, ihre Köpfe hingen schlaff zur Seite, ihre Augen waren halb geschlossen. Sie wirkten noch nicht ganz ausgedörrt, aber kurz davor. Sie waren dunkelhaarig, bärtig und mager, trugen weite, überlange Hemden und karierte Tücher, die sie um die Hüften geschlungen hatten. An ihren Schultern hingen Gewehre, aber keiner der Männer schien in der Verfassung zu sein, einen Schuss abzufeuern.
Ich näherte mich ihnen, und die Botin hielt mich nicht auf.
Ich fühlte ihren Pulsschlag und blickte zu Grant hinüber. »Sie leben noch.«
»Besessen«, sagte er ruhig und drehte sich zu der Botin herum. »Warum hast du das gemacht?«
»Hier gibt es keine Gefäße«, sagte sie einfach. »Keine guten menschlichen Vorräte hier, aus denen ich schöpfen könnte.
Und ich bin nicht mehr so scharf darauf zu sterben wie noch vorhin.«
»Gut«, antwortete er, »aber ich habe viele Jahre überlebt, ohne meine Energie aus Besessenen zu ziehen. Was du diesen Männern antust, ist falsch.«
»Falsch«, gab sie zurück. »War es denn auch falsch, was du mir angetan hast, in meinem Kopf?«
Grant zögerte. »Kann sein, aber es tut mir nicht leid.«
Ich hörte nur mit halbem Ohr zu. Ich konnte die Fesseln der Besessenheit zwar nicht sehen, die die Botin den Männern angelegt hatte, aber ich konnte sie an meiner Zunge schmecken: so kalt und steril wie Stahlgitter.
Zerbrich sie, wenn du willst, sagte die Finsternis . Du hast die Fesseln schon in deinem Mund. Beiß zu. Beiß, und du wirst sie befreien.
Ich wusste, dass ich nicht auf sie hören durfte, ich wusste es so gut, aber die Versuchung war zu groß. Ich konnte es tun. Ich konnte sie befreien. Und so tat ich es. Es war wie das Durchbeißen eines Fadens mit den Zähnen. Meine Kiefer pressten sich zusammen, und ich fühlte in meinem Inneren drei vibrierende Knackgeräusche, die einen bitteren Geschmack in meinem Mund hinterließen, wie Blut, wie reines, flüssiges Eisen.
Die drei Männer zuckten heftig, ihre Augen wurden wieder lebendig, als sie nach Luft schnappten und ihre Kehlen umklammerten. Sie machten große, heftige Atemzüge, jeder davon schüttelte sie so sehr, dass ich fürchtete, ihre Knochen könnten brechen. Ich blickte über die Schulter und sah die Botin, die ihre Brust umklammerte, als hätte sie einen Herzanfall.
»Verdammt!«, rief ich.
»Maxine«, brüllte Grant und zeigte hinter mich. Ich drehte mich um und erblickte die Männer, die nun wieder bei vollem
Bewusstsein waren, sich selbst unter Kontrolle hatten und mich anstarrten, entsetzt und voller Verwirrung. Ich hatte ganz vergessen, wie ich aussah. Und nicht nur das, die Männer hatten auch keine Ahnung, wie sie hierhergekommen sein mochten.
Sie griffen nach ihren Gewehren. Ich schrie sie an, aber das führte nur dazu, dass sie sich noch schneller bewegten, mich anschrien und sich dann gegenseitig anbrüllten. Von dem, was sie sagten, verstand ich zwar kein Wort, aber ich ahnte es immerhin. Dann warf ich mich auf den Ersten von ihnen und versuchte ihm die Waffe zu entwinden. Er war stark und drahtig, hatte die
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