Chroniken der Unterwelt Bd. 3 City of Glass
wäre tief in ihrem Inneren etwas aufgerissen worden, als würden sich all die angestauten Gefühle der vergangenen Wochen einen Weg nach draußen bahnen, ihre Verbitterung, ihre unterdrückte Wut. »Kannst du mir vielleicht mal erklären, warum du mir nie gesagt hast, dass ich eine Schattenjägerin bin? Oder dass mein Vater gar nicht tot ist, sondern noch lebt? Und, ach ja, wie steht es damit: Warum du Magnus dafür bezahlt hast, mir meine Erinnerungen zu nehmen?«
»Ich habe nur versucht, dich zu beschützen …«
»Na, das ist dir ja großartig gelungen!«, konterte Clary aufgebracht. »Was hast du eigentlich gedacht, was mit mir nach deinem Verschwinden passieren würde? Wenn Jace und die anderen nicht gewesen wären, wäre ich jetzt tot. Du hast mir nie gezeigt, wie ich mich selbst schützen kann. Mir nie gesagt,wie gefährlich die Welt für mich tatsächlich ist. Was hast du dir eigentlich dabei gedacht? Wenn ich das Böse nicht sehen könnte, dass es mich dann auch nicht sieht?« Clarys Augen brannten. »Du hast gewusst, dass Valentin nicht tot war. Du hast Luke erzählt, dass du glaubst, er wäre noch am Leben.«
»Genau deswegen habe ich dich ja verstecken müssen«, erwiderte Jocelyn. »Ich konnte das Risiko nicht eingehen, dass Valentin von deinem Aufenthaltsort erfuhr. Ich durfte nicht zulassen, dass er dich in seine Finger bekommen würde …«
»Weil er nämlich schon dein erstes Kind in ein Monster verwandelt hatte«, schnaubte Clary, »und du wolltest nicht, dass er mit mir dasselbe macht.«
Sprachlos vor Entsetzen starrte Jocelyn Clary an. »Ja«, sagte sie schließlich, »ja, das stimmt, aber das war nicht der einzige Grund, Clary …«
»Du hast mir meine Erinnerungen gestohlen«, fuhr Clary unbeirrt fort. »Du hast sie mir einfach genommen. Du hast mir genommen, wer ich tatsächlich bin.«
»Aber das bist du nicht!«, protestierte Jocelyn. »Ich habe nie gewollt, dass du so bist…«
»Es spielt keine Rolle, was du willst!«, stieß Clary wütend hervor. »Es geht darum, wer ich bin! All das hast du mir einfach genommen, aber dazu hattest du nicht das geringste Recht!«
Jocelyn war aschfahl geworden. Tränen stiegen Clary in die Augen - sie konnte es nicht ertragen, ihre Mutter so zu sehen, so verletzt, und dennoch war sie diejenige, die Jocelyn diese Verletzungen zufügte. Außerdem wusste Clary instinktiv: Wenn sie den Mund wieder öffnete, würden nur nochmehr schreckliche Worte daraus hervorsprudeln, noch mehr hässliche, wütende Dinge. Bestürzt schlug sie die Hand vor den Mund und stürmte in Richtung Flur, vorbei an ihrer Mutter und vorbei an Simons ausgestreckter Hand. Sie wollte weg, einfach nur weg. Tränenblind riss sie die Haustür auf und stolperte die Stufen hinunter auf die Straße. Hinter ihr rief jemand ihren Namen, doch Clary reagierte nicht darauf. Sie rannte los und drehte sich nicht mehr um.
Zu seiner Überraschung stellte Jace fest, dass Sebastian das Pferd der Familie Verlac im Stall zurückgelassen hatte, statt mit ihm in der Nacht seiner Flucht davonzugaloppieren. Vielleicht hatte er befürchtet, dass man Wayfarer und damit ihn auf irgendeine Weise orten konnte.
Es verschaffte Jace eine gewisse Befriedigung, den Hengst zu satteln und auf ihm aus der Stadt zu reiten. Sicher, wenn Sebastian Wayfarer wirklich gewollt hätte, hätte er ihn nicht zurückgelassen - außerdem hatte ihm das Pferd ja eigentlich gar nicht gehört. Aber Jace liebte Pferde nun mal. Sein letzter Reitausflug lag zwar schon sieben Jahre zurück, aber zu seiner großen Freude stellten sich die Erinnerungen rasch wieder ein.
Der Fußmarsch vom Landsitz der Waylands zurück nach Alicante hatte Clary und ihn sechs Stunden gekostet, doch jetzt, im strammen Galopp, brauchte er nur zwei Stunden, um an den Ort zurückzukehren. Bei seiner Ankunft auf dem Hügel, von dem sich ein Blick auf das Haus und die Ländereien bot, waren er und das Pferd mit leichtem Schweiß bedeckt.
Die Irrleitungs-Schutzschilde, die das Anwesen kaschiert hatten, waren zusammen mit den Grundmauern des Hauseszerstört worden. Von dem einst eleganten Gebäude schien nur noch ein Haufen rußgeschwärzter Balken und Steine zurückgeblieben zu sein. Nur der Garten, der an den Rändern angesengt war, erinnerte Jace noch an die Kindheit, die er hier verbracht hatte. Er entdeckte die alten Rosensträucher, inzwischen ohne Blüten und von Unkraut überwuchert, die Steinbank am Teich, aber auch
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