Chroniken der Unterwelt Bd. 4 City of fallen Angels
über den Raum. Kunstvolle schmiedeeiserne Wendeltreppen führten hinauf zu langen, mit Hängepflanzen dekorierten Galerien. Und durch die gewaltige freitragende Glasdecke, die den Saal überspannte, bot sich ein Blick auf den Nachthimmel. Das Ironworks besaß sogar eine Außenterrasse, die auf den East River hinausging und eine sensationelle Aussicht auf die Fifty-Ninth Street Bridge bot, die die beiden Stadtteile Queens und Manhattan wie eine lang gestreckte Eisgirlande miteinander verband.
Lukes Rudel hatte sich bei der festlichen Dekoration des Saales selbst übertroffen: Überall standen große Zinnurnen mit langstieligen elfenbeinweißen Blumen und weiße, mit Damasttüchern eingedeckte Tische gruppierten sich um eine erhöhte Bühne, auf der ein Werwolfstreichquartett klassische Musik spielte. Clary wünschte, Simon wäre schon da; sie war sich ziemlich sicher, dass er Werewolf String Quartet, für einen guten Bandnamen halten würde. Langsam schlenderte sie von Tisch zu Tisch, arrangierte Dinge, die nicht arrangiert zu werden brauchten, fummelte an der Blumendeko herum und richtete Besteck aus, das bereits kerzengerade lag. Unter den wenigen Gästen, die bisher eingetroffen waren, befand sich niemand aus ihrem Freundeskreis. Ihre Mutter und Luke standen an der Eingangstür und begrüßten die Neuankömmlinge strahlend — auch wenn Luke sich in seinem Anzug nicht sehr wohlzufühlen schien, wohingegen Jocelyn in ihrem maßgeschneiderten blauen Kleid umwerfend aussah. Nach den Ereignissen der vergangenen Tage war es schön, ihre Mom einmal glücklich lächeln zu sehen. Allerdings fragte Clary sich, wie viel davon echt war und wie viel nur Fassade. Denn eine gewisse Anspannung um Jocelyns Lippen ließ sich nicht leugnen und bereitete Clary Sorge: War sie wirklich glücklich oder lächelte sie trotz ihres Kummers?
Dabei war es nicht so, als ob Clary nicht genau gewusst hätte, wie ihre Mutter sich fühlte. Denn was auch immer sonst um sie herum passierte — Jace ging ihr nicht aus dem Kopf. Womit traktierten die Stillen Brüder ihn wohl gerade? Ging es ihm gut? Würden sie sein Problem beheben können, um den Dämoneneinfluss zu blockieren? Nachdem Clary aus der Stadt der Stille heimgekehrt war, hatte sie die ganze Nacht schlaflos an die dunkle Decke ihres Zimmers gestarrt und sich schreckliche Sorgen gemacht, bis ihr buchstäblich schlecht war.
Sie wünschte, er könnte hier sein, wünschte es mehr als alles andere auf der Welt. Ihr Kleid für diesen Abend — goldfarben und enger geschnitten als jedes andere ihrer Kleidungsstücke — hatte sie extra ausgesucht in der Hoffnung, dass es Jace gefallen würde. Doch nun würde er es gar nicht zu Gesicht bekommen. Natürlich war es oberflächlich, sich über so etwas Gedanken zu machen, das wusste sie genau; und sie würde liebend gern für den Rest ihres Lebens in Sack und Asche gehen, wenn sie dadurch zu seiner Heilung beitragen konnte. Außerdem versicherte er ihr ständig, dass sie schön war, und beschwerte sich nie darüber, dass sie hauptsächlich Jeans und Turnschuhe trug. Aber sie hatte wirklich gehofft, er könnte sie in diesem Kleid sehen und der Anblick würde ihm gefallen.
Als sie am Abend vor ihrem Spiegel gestanden hatte, hatte sie sich fast schön gefühlt. Ihre Mutter hatte immer erzählt, dass sie selbst eine Spätzünderin gewesen sei, und Clary hatte sich gefragt, ob das bei ihr wohl auch der Fall war. Ihr Spiegelbild verriet, dass sie nicht mehr flach wie ein Brett war — seit letztem Jahr hatte sie ihre BHs eine Nummer größer kaufen müssen —, und wenn sie die Augen leicht zusammenkniff, konnte man wahrhaftig so etwas wie Hüften erkennen. Sie hatte tatsächlich weibliche Rundungen. Kleine, zugegeben; aber irgendwo musste man ja anfangen.
Beim Schmuck hatte sie sich für »schlicht und dezent« entschieden — sehr schlicht, um genau zu sein.
Nachdenklich berührte sie den Morgenstern-Ring an der Kette um ihren Hals. An diesem Morgen hatte sie ihn zum ersten Mal seit Tagen wieder angelegt. Das Tragen des Rings erschien ihr wie ein stiller Vertrauensbeweis an Jace — sie wollte damit ihr Bekenntnis zu ihm betonen, ob er nun davon wusste oder nicht. Sie hatte beschlossen, den Ring so lange zu tragen, bis sie Jace wiedersah.
»Clarissa Morgenstern?«, fragte plötzlich eine leise Stimme neben ihr.
Überrascht wirbelte Clary herum. Die Stimme war ihr nicht bekannt. Vor ihr stand eine schlanke, groß gewachsene junge Frau von Anfang
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