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Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon

Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon

Titel: Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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dagegen unternehmen können.« In ihren weit aufgerissenen Augen spiegelten sich die Messinstrumente.
    Alle schwiegen und lauschten. Das metallische Knacken der Außenhülle nahm zu. Ein unheilvolles Heulen setzte ein, wie das Klagen eines sterbenden Tieres.
    »Der Wasserdruck«, flüsterte Humboldt. »Für welche Tiefe ist die Kugel eigentlich ausgelegt?«
    »Achtzig Meter, vielleicht hundert«, entgegnete Océanne. »So genau kann man das nicht sagen. Wir haben nicht erwartet, bis an die Belastbarkeitsgrenze zu gehen.«
    »Die Schwachstellen sind die Fenster«, erläuterte Rimbault. »Irgendwann wird das Wasser sie einfach aus ihren Fugen drücken. Hätte ich gewusst, dass so etwas eintritt, hätte ich natürlich …«
    »Bitte sei still!« Océanne starrte auf die Messinstrumente, als würde sie dadurch dem Druck Einhalt gebieten können.
    Oskar blickte angstvoll auf die zentimeterdicken Glasscheiben. Die Dunkelheit schien sich wie schwarzer Rauch im Innern der Kugel auszubreiten.
    »Wie tief?«, fragte Humboldt.
    »Einhundertzehn Meter.« Aus Océannes Gesicht war jegliche Farbe gewichen. Ein weiteres Jaulen erklang. Kein Zweifel: Die Bathysphäre sang ihr Todeslied. Niemand zweifelte daran, dass sie in den nächsten Minuten einen schrecklichen Tod sterben würden. Oskar suchte die Hand des Forschers. Humboldt legte seinen Arm um ihn und zog ihn zu sich heran. »Es tut mir unendlich leid, dass ich dich da mit hineingezogen habe«, sagte er. »Hätte ich doch bloß auf dich gehört. Ich dachte …«
    »Ist schon in Ordnung«, erwiderte Oskar. »Ich wollte es so. Darüber hinaus waren die letzten Monate die schönsten meines Lebens. Um nichts in der Welt hätte ich das missen wollen.«
    »Ehrlich?«
    »Ganz ehrlich.«
    Humboldt strich ihm sanft über den Kopf.
    In diesem Moment erschütterte ein heftiger Stoß die Kugel. Ein ohrenbetäubender Schlag hallte durch das Metall. Oskar stürzte nach vorne und fiel auf die Knie. Um ein Haar wäre er mit der Stirn gegen eine der Metallkonsolen geschlagen, doch er konnte sich gerade noch rechtzeitig abfangen.
    Der Innenraum schlingerte, kippte dann leicht zur Seite und blieb ruhig liegen. Das Knacken und Rumpeln hörte auf.
    Alle richteten sich auf und spitzten die Ohren. Außer einem leichten Gluckern war es still geworden. Rimbault taumelte zu seinen Messinstrumenten. Mit fiebrigem Blick überflog er die Anzeigen, drehte hier und klopfte da. »Unfassbar«, hörte Oskar ihn murmeln. »Einhundertfünfzig Meter. So tief ist vor uns noch kein Mensch getaucht.«
    »Was ist geschehen?«, fragte Humboldt. »Warum sinken wir nicht mehr?«
    Der Schiffsbaumeister wandte ihnen das Gesicht zu. In seinen Augen glomm tiefe Dankbarkeit. »Eine Schaufel Sand«, flüsterte er. »Der liebe Gott hat uns eine Schaufel Sand unter den Hintern gekippt.«

 
29
     
     
    Charlotte war vor Angst wie gelähmt. Ein unheimlich aussehender Mann mit dunkel geränderten Augen hatte sich über sie gebeugt und legte seine Hände um ihren Hals. Sie fühlte, wie sie gepackt und durchgeschüttelt wurde.
    »Réveillez-vous, Mademoiselle! Réveillez-vous!«
    Mit einem erstickten Schrei schlug sie die Augen auf. Einen Moment lang wusste sie nicht, ob sie wach war oder träumte. Der Mann war immer noch da, auch wenn er nicht mehr ganz so furchterregend aussah. Nach ein paar Sekunden erkannte sie, dass es ihr Kapitän war.
    »Mademoiselle?«
    Sie zuckte zurück und zog die Decke bis unter ihr Kinn.
    »Was wollen Sie?«
    »Suivez-moi, s’il vous plaît.«
    Die Tür zur Nachbarkajüte ging auf. In einem langen Nachtgewand trat Eliza in den Gang. »Was ist denn hier los?« Ihrer Stimme nach zu urteilen war sie nicht sehr erfreut über die nächtliche Ruhestörung. Sie wechselte ein paar Worte mit dem Kapitän, dann veränderte sich ihr Tonfall.
    »Qu’est-ce que vous avez dit?«
    Der Kapitän sprach schnell und gestikulierte aufgeregt mit den Händen. Charlotte spürte, dass etwas vorgefallen war. Sie richtete sich auf und rieb sich den Schlaf aus den Augen.
    »Was ist denn los?«
    »Wir sollen den Kapitän begleiten«, sagte Eliza. »Schnell, zieh dir etwas an!« Mit diesen Worten lief sie in ihr Zimmer zurück und kleidete sich an. Charlotte wartete, bis der Kapitän draußen war, dann streifte sie Hemd und Hose über.
    Ein paar Minuten später trafen sie oben an Deck ein. Die halbe Mannschaft stand um das Steamaggregat herum und schaute betroffen auf den Kran. An den Kontrollen hing vornübergebeugt der

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