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Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon

Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon

Titel: Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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anzunehmen, Sie wollten nur Ihre Tauchkugel testen.« Er neigte den Kopf. »Dann erzählen Sie mal: Was genau haben Sie hier im Kretischen Meer zu suchen?«
    »Ist das nicht offensichtlich?«, erwiderte Humboldt. »Unser Auftrag lautete, etwas über die versunkenen Schiffe in Erfahrung zu bringen und dem Treiben hier Einhalt zu gebieten.«
    »Ein Auftrag also, soso.« Livanos’ Gesichtsausdruck schwankte zwischen Überraschung und Amüsiertheit. »Wäre es zu viel verlangt, mir zu sagen, wer Ihr Auftraggeber ist? Oder ist das geheim?«
    »Keinesfalls. Sein Name ist Stavros Nikomedes. Ein griechischer Reeder.«
    »Nikomedes?« Livanos’ Gesicht wurde hart.
    »Sie kennen diesen Namen?«
    »Ich …«, Livanos zögerte. Oskar hatte das Gefühl, als würde für einen Moment die unnahbare Fassade bröckeln und den wahren Menschen darunter zeigen. Einen verletzlichen und unendlich traurigen Menschen.
    »Ich kannte mal einen Nikomedes«, fuhr Livanos mit leiser Stimme fort. »Jedoch war sein Name nicht Stavros, sondern Archytas.«
    Humboldt nickte. »Sein Großvater. Der Patriarch der Familie. Wie ich gehört habe, leitet er noch immer die Geschicke des Hauses Nikomedes. Und das mit über achtzig.«
    »Verflucht soll er sein!«, rief Livanos. »Möge sein alter Körper auf dem Grund des Meeres verrotten.« Er deutete auf seine Beine. »Er war es, der mir das angetan hat. In einem Brief habe ich geschworen, es ihm heimzuzahlen. Vermutlich hockt er darauf wie eine Kröte und hat Angst.« Er lächelte grimmig, dann sagte er: »Bitte verzeihen Sie. Das ist eine alte Geschichte und liegt lange zurück. Wie Sie sicher bemerkt haben, bin ich auf den Mann nicht gut zu sprechen. Ich frage mich, was er wohl dazu sagen würde, wenn er mich jetzt so sähe.«
    Humboldt blickte ernst. »Das können nur Sie selbst herausfinden.«
    »Eine sehr diplomatische Antwort.« Livanos warf ihm ein schlaues Lächeln zu. »Wissen Sie was? Ich möchte Sie einladen, ein paar Tage an meiner Seite zu verbringen. Wie wäre es mit einer Führung, morgen Vormittag? Die Einladung gilt natürlich für alle Anwesenden. Betrachten Sie sich als meine Gäste. Ich möchte Ihnen zeigen, was wir hier unten geleistet haben. Ich bin sicher, dass Sie danach anders von uns denken werden.«
    »Und wenn nicht?«
    »Nun, das bleibt Ihnen überlassen. Doch ob Sie sich nun für uns entscheiden oder gegen uns, das Endergebnis wird stets das Gleiche sein. Sie werden nie wieder an die Oberfläche zurückkehren. In dieser Richtung kann ich Ihnen leider keine Hoffnung machen.«
    Océanne nahm ihren Vater in den Arm. »Papa hatte ganz recht«, sagte sie. »Sie sind ein Monstrum.«
    Livanos sah traurig in die Runde. »Ich bin das, was andere aus mir gemacht haben.«
    »Und was ist mit dem freien Willen?« Humboldt schüttelte den Kopf. »Es ist nie zu spät, einen einmal eingeschlagenen Weg zu verlassen.«
    »Meinen Sie?« Livanos presste die Lippen aufeinander. »Was das betrifft, bin ich nicht ganz so optimistisch wie Sie.«

 
43
     
     
    Es ging bereits auf dreiundzwanzig Uhr zu, als in den Quartieren der Gefangenen endlich Ruhe einkehrte. Wie jeden Abend hatte es ein üppiges Mahl gegeben, doch Oskar hing das Essen langsam zum Halse raus. Der Koch schien keinen ausgeprägten Geschmackssinn zu besitzen. Nicht nur, dass alles irgendwie gleich schmeckte, es hatte obendrein diesen fischigen Beigeschmack, der selbst vor den Getränken nicht haltmachte. Oskar sehnte sich danach, mal wieder Buletten mit Kartoffelsalat oder Erbsensuppe mit Speck und als Nachtisch Berliner Mohnpielen zu essen. Schon beim Gedanken daran lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Stattdessen gab es wieder gelbe, grüne und blaue Würfel mit roter Soße.
    Um sich auf andere Gedanken zu bringen, hatte er sich zeitig in seine Koje verkrochen und weiter in Moby Dick gelesen. Irgendwann waren auch Charlotte, Eliza und Océanne gekommen, hatten sich hingelegt und waren im Nu eingeschlafen. Der Tag war für sie alle sehr anstrengend gewesen.
    Oskar konnte jedoch noch nicht schlafen. Er hatte festgestellt, dass Moby Dick nicht einfach nur eine Abenteuergeschichte war. Es war ein Epos über die Allgewalt des Meeres und die Grenzen des Menschen. Es passte so sehr zu ihrer derzeitigen Situation, dass einem mulmig werden konnte.
    Er war gerade an der Stelle angelangt, an der Queequeg, der Harpunier, und Ismael, der Erzähler der Geschichte, an Bord der Pequod anheuerten, als Humboldt und Rimbault den Schlafraum

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