Chroniken der Weltensucher – Das Gesetz des Chronos

eine Weile aushalten. Er fing an, abgestorbene Zweige, Äste und Laub zusammenzutragen. Seine ungewöhnliche Kleidung behinderte ihn zwar, aber nach einigen Minuten hatte er schon einen ganz ansehnlichen Haufen an Brennmaterial zusammen. Er schichtete die Zweige zu einem Kegel und legte ein paar kräftigere Scheite quer darüber. Noch etwas trockenes Gras und Blätter unten rein und fertig war das Lagerfeuer. Er hielt sein Feuerzeug daran und lehnte sich dann erwartungsvoll zurück. Die Blätter fingen sofort Feuer, griffen dann auf dünnere Zweige über und erfassten die Äste. Es knackte und brutzelte und Funken stoben in die Höhe. Dann kam die Wärme. Sie durchdrang seine Kleidung, kroch unter die Schichten aus Stoff und Laub und vertrieb die letzten Reste von Kälte. Ein wohltuender Geruch verbreitete sich. Sofort erschienen Bilder von ihrer geheizten Stube, von Geschichten am Kamin und geräuchertem Fleisch.
    Ein Lächeln stahl sich auf Oskars Gesicht. Endlich verließ ihn die Anspannung. Eine gewisse Zeit würde er schon aushalten. Schnee ließ sich schmelzen, sodass er etwas zu trinken hatte, und wenn das Feuer ausging, konnte er ein neues entfachen. Irgendwann würden seine Freunde wieder auftauchen und ihn retten.
    Sein Blick schweifte über die weiße Unendlichkeit. Was für eine beängstigende und gleichzeitig wunderschöne Landschaft. Oskar erinnerte sich, dass sein Vater gesagt hatte, die Maschine verändere nur die Zeit, nicht aber den Ort. Wann hatte es um Berlin jemals so ausgesehen? Dieser türkisblaue Streifen, der sich im Norden quer über den Horizont zog. Was war das? Berge? Aber hier gab es doch keine Berge. Das Land war bis zur Ostsee flach wie ein Brett. Und doch erhob sich ganz klar eine Bergkette über die schneebedeckte Ebene.
    Sie sahen irgendwie merkwürdig aus. Zu kastig und abgeschnitten. Es gab keinerlei Spitzen oder Täler, keine Buckel, Rundungen, Vertiefungen. Nur diese blaue, kalte Wand. Fast wie bei einem Eisberg.
    Ein Geräusch riss ihn aus seinen Gedanken. Ein dumpfes Röhren, als würde jemand eine kaputte Hupe betätigen. In dieser menschenleeren Landschaft wirkte der Laut doppelt befremdlich. Oskar hob den Kopf und sah sich um.
    Wenn es nur nicht so hell wäre. Seine Augen tränten vor Anstrengung. Irgendwann würde er sich eine Schneebrille anfertigen müssen.
    Er sah etwas. Eine rundliche Form, die vom Norden her näher kam. Rechts und links daneben weitere kleine Gestalten. Oskar konnte sie aufgrund ihrer geringen Körpergröße zuerst nicht richtig erkennen.
    Waren das Menschen?
    Er strengte seine Augen an, dass er glaubte, sie müssten ihm gleich aus dem Schädel fallen. Kein Zweifel, es waren Menschen. Jäger oder so. Einige von ihnen trugen Speere, andere Bogen. Aber wenn das Menschen waren, was war dann das andere Ding? Es musste riesig sein. Dreimal so hoch wie ein ausgewachsener Mann, mit dichtem, zotteligem Fell, vorne im Gesicht einen Rüssel, rechts und links davon meterlange Stoßzähne.
    Moment mal. Rüssel? Stoßzähne?
    Oskar hielt den Atem an. Er hatte so etwas schon einmal gesehen. In einem Buch. In Humboldts Bibliothek.
    Was er da sah, war ein Mammut .

19
    O skar kauerte hinter den Birken und beobachtete, was da draußen auf der Ebene vor sich ging.
    Das Mammut gehörte zu einer ausgestorbenen Gattung von Elefanten, die vor vielen Tausend Jahren die Weiten von Europa, Asien, ja sogar Nordamerika durchstreift hatten. Bekannt geworden war es dadurch, dass man Abbildungen von ihm in zahlreichen Höhlen – vor allem in Frankreich – gefunden hatte. Es gab aber auch kleine Schnitzereien, die aus Ton und Kalkstein geformt waren und die darauf hindeuteten, dass diese Wesen für die Menschen der Vorzeit eine besondere Bedeutung gehabt haben mussten. Berichten zufolge war sogar mal ein vollständiges Exemplar irgendwo in Russland entdeckt worden. Mitsamt Fell und Fleisch, das so frisch war, dass sogar die Schlittenhunde davon fressen konnten. Typisch für das Mammut waren die langen, geschwungenen Stoßzähne und das dicke, knotige Fell.
    Das Mammut hatte seine Richtung gewechselt und kam jetzt genau auf ihn zu. Es war kaum noch zweihundert Meter von seiner Position entfernt.
    Oskar konnte vor Aufregung kaum einen klaren Gedanken fassen. Mammuts gab es schon seit Ewigkeiten nicht mehr. Angeblich waren sie zum Ende der letzten Eiszeit in