CIA: Die ganze Geschichte (German Edition)
kannte.
Den Kennedys wurde Harvey als der James Bond der CIA vorgestellt. Das scheint John F. Kennedy, der ein eifriger Leser von Ian Flemings Spionageromanen war, in die Irre geführt zu haben, denn das Einzige, was Bond und Harvey verband, war ihre Vorliebe für Martini. Harvey, ein fettleibiger, glupschäugiger Kerl, der immer eine Pistole bei sich trug, trank zu Mittag doppelte Martinis, ging danach wieder unter undeutlichem Gemurmel an die Arbeit und verwünschte den Tag, als er mit Robert Kennedy zusammengetroffen war. Dieser »wollte schnelle Aktionen, und er wollte schnelle Antworten«, erzählt Walt Elder, McCones diensthabender Assistent. »Harvey war nicht der Mann für schnelle Aktionen oder schnelle Antworten.«
Aber er besaß eine Geheimwaffe.
Zweimal erteilte das Weiße Haus unter der Kennedy-Administration der CIA den Auftrag, ein Mordkommando zusammenzustellen. Diese Befehle kamen laut Richard Bissell, der 1975 sehr eingehend von Mitgliedern sowohl des Senats als auch eines Präsidialausschusses befragt wurde, von McGeorge Bundy, Kennedys nationalem Sicherheitsberater, sowie von dessen Assistenten Walt Rostow, und diese Männer hätten »dem Projekt nicht in dieser Weise den Rücken gestärkt, wenn sie nicht überzeugt davon gewesen wären, dass es die volle Zustimmung des Präsidenten hatte«.
Bissell gab den Befehl an Bill Harvey weiter, der dann tat wie geheißen. Harvey war nach einem langen Aufenthalt in Berlin als Leiter der dortigen Niederlassung im September 1959 ins Hauptquartier zurückgekehrt, um dort die Abteilung D im Geheimdienst zu leiten. Die Agenten der Abteilung brachen im Ausland in Botschaften anderer Länder ein und stahlen Codeverzeichnisse und Entschlüsselungsunterlagen für die Abhörspezialisten beim Nationalen Sicherheitsdienst. Sie selbst nannten sich »Fassadenkletterer«, und ihre Fertigkeiten reichten vom Schlösserknacken bis zum Diebstahl und darüber hinaus. Die Abteilung hatte Kontakte zu Kriminellen in Hauptstädten des Auslands, die man für heimliche Einbrüche, das Kidnappen von Botschaftskurieren und allerlei sonstige Schurkereien im Namen der Sicherheit der USA engagieren konnte.
Im Februar 1962 stellte Harvey unter dem Codenamen »Rifle« ein »Einsatzprogramm« auf, sicherte sich die Mitarbeit eines in Luxemburg ansässigen ausländischen Auftragsagenten ohne spezifische Nationalität, der gelegentlich für die Abteilung D arbeitete. Ihn wollte Harvey einsetzen, um Fidel Castro zu töten.
Im April 1962 unternahm Harvey, wie aus den CIA-Akten hervorgeht, einen zweiten Versuch. Er traf sich in New York mit dem Gangster John Rosselli. Er besorgte sich bei Dr.Edward Gunn, dem Leiter der Einsatzabteilung beim Medizinischen Dienst der CIA, einen weiteren Satz Gifttabletten, die Castro mit seinem Tee oder Kaffee verabreicht werden sollten. Dann fuhr er mit dem Auto nach Miami und übergab sie dort Rosselli zusammen mit einem Leih-Lkw voller Waffen.
Am 7.Mai 1962 wurde der Justizminister von CIA-Justiziar Lawrence Houston und Sicherheitschef Sheffield Edwards in allen Einzelheiten vom Projekt »Rifle« in Kenntnis gesetzt. Robert Kennedy solle »wie von Sinnen« gewesen sein, nicht über das Mordkomplott an sich, sondern über die Beteiligung der Mafia daran. Entsprechend tat er nichts, um die CIA an ihren Versuchen, Castro umzubringen, zu hindern.
Richard Helms, der drei Monate zuvor zum Leiter des Geheimdienstes ernannt worden war, gab Harvey grünes Licht für das Rifle -Projekt. Wenn es dem Weißen Haus in dieser Sache um das Ei des Kolumbus ging, dann war es, nach Helms’ Überzeugung, an der CIA, dieses Ei auch zu finden. Er hielt es für das Beste, McCone nicht davon zu informieren, weil er zu Recht annahm, dass der CIA-Direktor schwerste religiöse, rechtliche und politische Bedenken haben würde.
Ich habe Helms einmal die Frage ganz direkt gestellt: Wollte Präsident Kennedy den Tod von Castro? »Natürlich gibt’s darüber nichts Schriftliches«, meinte Helms gelassen. »Aber nach meiner Überzeugung besteht überhaupt kein Zweifel, dass er ihn wollte.«
Helms hielt politischen Mord in Friedenszeiten für einen moralischen Irrweg. Zudem gab es auch praktische Erwägungen: »Wenn man sich darauf einlässt, führende ausländische Politiker auszuschalten, und das wird von Regierungen häufiger in Erwägung gezogen, als man wahrhaben möchte, dann stellt sich zwangsläufig die Frage, wer als Nächster drankommt«, gab Helms zu bedenken. »Wenn
Weitere Kostenlose Bücher