CIA: Die ganze Geschichte (German Edition)
Jasir Arafat reagierte darauf mit dem Befehl, die Amerikaner zu töten. Dieses schreckliche Erlebnis brachte Wells dazu, ein neues Leben anzufangen. Er kehrte in die Vereinigten Staaten zurück, ging wieder aufs College und trat in die CIA ein. Er durchlief die achtzehnmonatige Ausbildung für den Geheimdienst und wurde, nachdem er zwei Jahre in Uganda Dienst getan hatte, nach Äthiopien geschickt. Getarnt war er als ein für Wirtschaftsfragen zuständiger Mitarbeiter des Außenministeriums. Die Vereinigten Staaten unterhielten damals keine nennenswerten wirtschaftlichen Beziehungen zu Äthiopien. Mengistu hatte es auf die vom Weißen Haus geführte Liste der meistgesuchten Verbrecher geschafft.
Unter Präsident Carter hatte die CIA eine winzige verdeckte Aktion laufen, ein Projekt zur finanziellen Unterstützung einer Exilgruppe, die sich Demokratische Allianz des Äthiopischen Volkes nannte. Unter Präsident Reagan wuchs sich das Programm zu einem millionenschweren und in der Wahl der Mittel keinerlei Beschränkungen unterworfenen Unternehmen aus. Wells übernahm ein Netzwerk aus äthiopischen Intellektuellen, Professoren und Geschäftsleuten, das er im Verdacht hatte, von Mengistus Sicherheitskräften unterwandert zu sein. Er hatte die Aufgabe, die Leute mit Geld und Propagandamaterial zu versorgen, Letzteres produziert von einem im Exil lebenden früheren äthiopischen Verteidigungsminister, der mit der Agency zusammenarbeitete. Plakate, Flugschriften und Autoaufkleber trafen in Kuriersäcken in der Botschaft ein, wo sich doppelt so viele CIA-Mitarbeiter wie Botschaftsangestellte aufhielten.
Wells wusste, dass er beschattet wurde. Aber er machte weiter. »Es überraschte mich, dass sie so lange brauchten, um mich zu schnappen«, meinte er.
Am 20.Dezember 1983 sprengten Mengistus Schläger eine Versammlung in einem gutbürgerlichen Viertel und verhafteten drei Führer der Opposition – einen siebzig Jahre alten ehemaligen Mitarbeiter des früheren Kaisers Haile Selassie, einen fünfzig Jahre alten Geschäftsmann und dessen Nichte, eine Biologin. Wells versteckte sich zwei Tage und zwei Nächte lang in einem Schrank, in dem das Propagandamaterial aufbewahrt wurde. Dann fand ihn Mengistus Palastgarde. Sie schnürten Wells an Händen und Füßen zusammen, brachten die drei Dissidenten in das Haus zurück und fingen an, sie zu foltern. Wells hörte ihre Schreie und gab zu, CIA-Beamter zu sein. Man verband ihm die Augen, stieß ihn in ein Auto und fuhr ihn weg. Am Weihnachtsabend brachte man ihn in eine konspirative Wohnung südlich der Stadt, in einem Ort namens Nazret. Während der nächsten fünf Wochen wurde er verhört und geschlagen. Er erlitt einen Schädelbruch, und man renkte ihm die Schultern aus.
»Um sich zu retten, verrät dieser Amerikaner die ganze Organisation, gibt alles preis«, sagte Joseph P. O'Neill, der stellvertretende Missionschef der Botschaft. Scharen von Äthiopiern wurden infolgedessen ins Gefängnis geworfen, gefoltert oder umgebracht.
Am Ende der fünfwöchigen Folterungen ließen die Äthiopier durch die israelische Botschaft in Nairobi die Amerikaner wissen, dass sie einen CIA-Beamten festhielten. Binnen eines Tages schickte Präsident Reagan seinen Sonderbotschafter, General Vernon Walters, der sich zu dieser Zeit in Afrika aufhielt, mit dem Auftrag hin, Wells freizubekommen.
Am 3.Februar 1984 entstieg der mittlerweile sechzigjährige und von der Gicht geplagte frühere stellvertretende Direktor des Zentralen Nachrichtendienstes schwerfällig einem Flugzeug in Addis Abeba und fuhr zur Botschaft, in der dünnen Luft der 2 800 Meter hoch gelegenen Stadt nach Atem ringend. »Was werden Sie Mengistu sagen?«, fragte O'Neill. »Der Präsident der Vereinigten Staaten wünscht, Mr.Timothy Wells wiederzukriegen«, war Walters’ Antwort. Zum Verhandeln war er nicht gekommen.
Walters fuhr zum Präsidentenpalast in Asmara, wo ihm Mengistu eine dreistündige Lektion in äthiopischer Geschichte verpasste. Wells wurde am folgenden Tag freigelassen. Sein Haar war ergraut. Er hatte seinen Schergen die Identität der vier anderen Mitarbeiter des CIA-Büros verraten. »KONTERREVOLUTIONÄRE ELEMENTE AUF FRISCHER TAT ERTAPPT«, lautete die morgendliche Schlagzeile im Ethiopian Herald , der in der Hauptstadt erscheinenden englischsprachigen Tageszeitung. Daneben zeigte ein Foto achtzehn schreckensbleiche Äthiopier vor einem Tisch, der mit Waffen, Flugschriften und Kassetten übersät war. Die
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