Ciao Tao
ihm die Fotokopien.
»Gute-Nacht-Lektüre. Wäre gut, wenn das außer dir keiner sieht. Bis morgen.«
10.
Zu Hause befragte ich erst mal mein altehrwürdiges Orakelbuch. Ich warf mit drei Groschen ein Yang, ein Yin und dann noch vier Yang. Machte zusammen DA YU, der Besitz von Großem. »Es ist eine günstige Zeit. Stärke im Inneren, Klarheit und Bildung im Äußeren. Die Kraft äußert sich fein und beherrscht. Das ergibt erhabenes Gelingen und Reichtum«, lautete das Urteil des I-Ging. Aber auch das I-Ging kann schließlich mal irren. Ich fand die Zeit überhaupt nicht günstig, fühlte mich ziemlich schwächlich und allenfalls reich an Problemen.
Ich sah nach, was der Kühlschrank zu bieten hatte. Ein Töpfchen Sahne, vier Eier, ein Glas Peperoni und drei Flaschen Soave. Die eiserne Gourmet-Ration. Das erhabene Gelingen, von dem das I-Ging raunte, bezog sich vielleicht auf mein Schicksal als Koch. Ich gab zehn gehackte Knoblauchzehen und eine ausgedrückte, kleingeschnittene Peperoni in heißes Olivenöl und ließ alles leicht anbräunen. Dann gab ich Sahne, kleingehackte Petersilie und zwei Eier dazu und rührte so lange, bis die Sauce schön dick, aber nicht klumpig wurde. Inzwischen waren auch die auf der Nebenplatte kochenden Spaghetti al dente und konnten abgegossen werden. Es klingelte. Über die Gegensprechanlage meldete sich Alwine. Hatte das I-Ging nicht von »günstiger Zeit« gesprochen? Ich freute mich wie ein Schneekönig. Und mußte trotzdem genau in diesem Moment an den armen Schulze denken, der jetzt eiskalt in einer dieser Schubladen lag, die in den Krimis immer aufgezogen werden. Ich zog die Aufzugtür auf und Alwine an mich, zog die Wohnungstür zu und Alwine mir nach, zog die Schlafzimmertür auf und Alwine aufs Bett. Was »fein und beherrscht« betraf, hatte sich das Orakel nun wirklich in der Wortwahl vergriffen. Diesen Gefühlsausbruch konnten weder böse Erinnerungen noch frische Spaghetti aufhalten. Die beiden letzteren kann man schließlich jederzeit aufwärmen.
Was ich dann zu fortgeschrittener Stunde auch tat. Für die Pasta brauchte ich nur eine große Pfanne und ungefähr 10 Minuten. Für Schulzes Tod, die Brauer-Papiere und den ganzen Eckert-Lütgenau-Caspari-Kamphausen-Kram brauchte ich wesentlich länger und außerdem jede Menge Überzeugungskraft. Alwine glaubte nämlich eine ganze Zeit lang, ich würde ihr nur so zum Spaß eine makabre Phantasie zum besten geben. Da saßen wir wohlig erschöpft in der Küche, mampften ein kleines postcoitales Festmenü, die Weingläser waren genau so schön eiskalt beschlagen, wie es sich gehört, die herrliche Aussicht durchs Küchenfenster auf die nächtlichen Dächer von Nippes plus Kerzenschein sorgten für Romantik satt — und Max Reinartz erzählte unglaubliches Zeugs von Mord, Totschlag und Erpressung. Aber als wir beim Espresso angekommen waren, hatte ich sie soweit.
»Und was willst du jetzt machen?«
»Rauskriegen, was da eigentlich gespielt wird. Und da ich nächsten Montag nach New York fliegen möchte, und zwar lebend und gut durchtrainiert, habe ich nicht mehr viel Zeit.«
»Und wie willst du was rauskriegen, Phil? Ich darf doch Phil zu Ihnen sagen, Mr. Marlowe?«
»Erst mal muß ich mehr über Lütgenau wissen. Wenn der tatsächlich auf mich geschossen hat oder jemand den Auftrag dazu gegeben hat, muß er ja wohl einen Grund dazu haben. Den wüßte ich gerne.«
»Warum, verdammt noch mal, überläßt du das nicht der Polizei? Das ist idiotisch und lebensgefährlich, was du da machst!«
»Ja, warum gehe ich eigentlich nicht zur Polizei? Ich glaube, weil ich mehr Wut als Angst habe. Ich weiß, ich weiß, absoluter Macho-Scheiß. Aber ich bin sauwütend, wenn ich mir vorstelle, daß so ein Drecksack wie Lütgenau auf mich geschossen hat. Und ich hab den absoluten Ekel, wenn ich mir vorstelle, daß die Sauereien in Brauers Notizbuch wirklich stimmen.«
Und in diesem Moment hatte ich plötzlich einen ziemlich guten Einfall.
»Außerdem kenne ich jemand, der mir helfen kann. Ein alter Bekannter mit drei großen Qualitäten: Zeit, Geld und Beziehungen.«
Mein alter Freund Hartmut Knodt, ein Bildungswegelagerer ohnegleichen. Gelernter Kraftfahrzeugmechaniker, dann Abendgymnasium, Soziologie-, Germanistik-, Architektur- und Psychologiestudium (jeweils abgebrochen, versteht sich), Ankauf, TÜV-Vorbereitung und Verkauf von schrottreifen 2CVs, Gründung einer alternativen Stadtzeitung. Und dann auf einmal Auszug aus einer
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