Ciao Tao
kann den gestohlenen Brief nur deshalb nicht finden, weil der Dieb ihn nicht versteckt, sondern ganz offen auf seinen Schreibtisch gelegt hat. Zu offensichtlich, um ihn zu sehen. Frechheit siegt.
Ich sah mir die Fotokopien an. Brauer hatte nicht nur fein säuberlich alle Beleidigungen aufgezeichnet, die ihm und Schulze von Eckert, und teilweise auch von mir, in Agentur-Meetings an den Kopf geworfen worden waren. Viel interessanter waren die Notizen über Meetings, die nicht in der Agentur stattgefunden hatten. Meetings, bei denen W.AT.CH.-Kunden in Eckerts Villa ein wenig aus sich herausgehen konnten. Meetings, bei denen W.A.T.CH.-Kunden je nach Geschmack von professionellen Damen gepeitscht oder bepinkelt wurden. Meetings, bei denen perverse Säcke wie Dr. Caspari sich mit Minderjährigen vergnügten. Alles auf Kosten des Hauses, versteht sich. Alles von Brauer mit Akkuratesse aufgeschrieben und mit Datum und Uhrzeit versehen. Und mit Angabe des jeweiligen Aufnahmematerials: Foto oder Video. Es war widerlich. Offensichtlich hatte Eckert einen schönen steuerfreien Nebenverdienst als Erpresser. Aber das alles war nicht so schlimm wie diese kleine unkommentierte Notiz, die Brauer am 17. Oktober eingetragen hatte: Überreaktion Lütgenau-Reinartz. Weiter nichts. Leider war der 17. Oktober der Tag, an dem auf mich geschossen worden war. Und vor einigen Stunden hatte ich mich noch entschlossen, das alles einfach zu vergessen.
Aber warum sollte Lütgenau auf mich geschossen haben? Das war absurd. Und warum schrieb Brauer überhaupt diesen ganzen Scheiß auf? War er etwa an diesen perversen Geschichten gewinnbeteiligt? Oder war er nur ein rachsüchtiger Buchhalter, der Belastungsmaterial auf Eckerts Konto eintrug? Grund genug dazu hatte er ja. Und das würde auch erklären, warum er in der Agentur geblieben war, nachdem ihm Eckert die Frau ausgespannt hatte. Offiziell hieß es ja, alles sei mit dem besten Einvernehmen geschehen, Brauer und seine Frau hätten sich sowieso trennen wollen, und Eckert und Brauer seien so etwas wie Freunde geworden. Aber behandelte man so seine Freunde, wie Eckert es tat? Wahrscheinlich wollte Brauer es Eckert irgendwann einmal heimzahlen und wartete auf eine passende Gelegenheit. Aber ich konnte Brauer nicht fragen, denn mich hatte er auch nicht gerade ins Herz geschlossen. Eckert konnte ich erst recht nicht fragen. Ich mußte jetzt vor allem mehr über Lütgenau rauskriegen. Das hieß erstens, ich mußte mit diesem Journalisten sprechen, der den hämischen Artikel über Lütgenaus Pleite in München geschrieben hatte. Das hieß zweitens, ich mußte Lütgenau beobachten. Fahren Sie bitte dem Wagen da vorne nach. Du lieber Gott. Abgesehen davon, wann sollte ich Lütgenau überhaupt beobachten? Schließlich stand diese verdammte Präsentation an, und ich durfte nicht auffallen, wenn ich was rauskriegen wollte. Also mußte ich mir jetzt erst mal die verlangten Weltklasse-Headlines einfallen lassen. Und dann brauchte ich eine gute Idee, wie ich mit heiler Haut aus dem ganzen Schlamassel herauskommen konnte. Ich dachte an die Polizei. Ich konnte ihnen die Fotokopien zeigen. Vielleicht würde dann Herr Schnäuzer mit seinem dunklen Audi vorfahren und Lütgenau und Eckert ein paar unangenehme Fragen stellen. Vielleicht mußten sich Lütgenau und Eckert dann auch hinter einen Beton-Blumenkübel werfen. Aber der Gedanke gefiel mir nicht. Ich wollte das allein durchziehen. Maximilian Reinartz als Mad Max. Das war Fehler Nummer eins.
Irgendwie gelang es mir, noch die eine oder andere brauchbare Headline abzusondern. Eckert hatte inzwischen die Agentur mit unbekanntem Ziel verlassen. Also mußte Sigi die Headlines auch ohne Eckerts Segen in die Layouts malen. Begeistert schien er nicht gerade davon zu sein.
»Ich weiß, ich weiß. Ich hab schon bessere Lines geschrieben.«
»Weniger schlechte, meinst du.«
»Du hast auch schon weniger schlechte Witze gemacht. Tut mir leid, aber ich muß jetzt abhauen.«
»Dann war das eben dein Ernst? Deine dunklen Vermutungen? Irgendwie eine ganz schöne Zumutung, wie du schicksalsschwer bepackt mit bösem Verdacht das Haus verläßt und mich hier allein mit dem Kamphausen-Scheiß sitzenläßt. In zwei Tagen ist Präsentation. Könntest du mir wenigstens als kleinen Trost mal etwas Konkretes sagen?«
»Wie wäre es zum Beispiel damit, daß hier in der Agentur Sachen ablaufen, die eventuell damit zu tun haben, daß auf mich geschossen wurde?«
»Was?«
Ich gab
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