Ciao Tao
flackerten noch mehr, und er schnappte nach Luft. Dann überwältigte mich eine Woge fauligen Mundgeruchs, Schulze stand ruckartig auf, sein Stuhl rollte hinter ihm weg, und er verließ wortlos den Raum. Die Pendeltür schwang hin und her.
Eckert tobte. »Was bildet sich dieser Versager eigentlich ein? Kommen Sie sofort zurück, Schulze!« Er wuchtete sich aus dem Sessel und rannte Schulze nach. Sigi, Brauer und ich folgten. Eckert beugte sich über das Geländer und schrie auf den die Treppe heruntereilenden Schulze ein. Er schrie auch noch, als Schulze plötzlich stehen blieb, sich an die Brust faßte, schwankte, stürzte, sich zweimal mit dumpfem Aufprall überschlug und dann am Treppenende liegenblieb und mit den Beinen zuckte. Erst als Schulze sich nicht mehr rührte, hörte Eckert auf zu toben. Er stieg langsam die Holzstufen hinunter.
»Sie sind entlassen, Schulze. Machen Sie, daß Sie rauskommen.«
Aber Eckert konnte ihn nicht mehr entlassen. Schulzes Herz hatte gekündigt. Und zwar fristlos. Ich weiß nicht, warum ich oben stehenblieb und dann in den Meeting-Room zurückging. Irgendeine Eingebung. Von unten hörte man den bei einem solchen Vorfall wohl unvermeidlichen Tumult. Draußen war ein Wagen von der Müllabfuhr vorgefahren und machte infernalischen Krach. Ich schloß das Fenster. Dann fiel mein Blick auf Brauers Notizbuch. Und dann ging alles sehr schnell. Unten traf gerade der Krankenwagen ein. Ich hastete in die zweite Etage zum Kopierer. Ich schaffte 20 Seiten, bis mich der Mut verließ. Ich ranntewieder runter in den Meeting-Room und legte das Notizbuch auf seinen Platz zurück. Ich faltete die Kopien zusammen, steckte sie in die Innentasche meiner Jacke und ging nach unten. Ich kriegte gerade noch mit, wie der Notarzt abwinkte und Schulze rausgetragen wurde. Irgendwann hatte er mir bei einem Agenturfest leicht angetrunken angekündigt, daß er es Eckert einmal heimzahlen und mit hocherhobenem Kopf die Agentur verlassen würde. Jetzt verließ der arme Kerl die Agentur mit den Füßen nach vorn, und zwei Kriegsdienstverweigerer gaben ihm das letzte Geleit.
»Wo warst du?« fragte Sigi.
»Kotzen.«
»Gute Idee. Würde ich auch gerne.«
»Seht mich nicht so vorwurfsvoll an«, sagte Eckert. »Ich habe ihn schließlich nicht umgebracht.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher«, sagte Brauer. »Du und Reinartz, ihr seid doch das letzte.«
»Das letzte, was ich von dir erwarte, ist dummes Herumgequatsche, Wolfgang. Geh in dein Zimmer und mach ein paar Layoutvorschläge für Kamphausen. Sigi schafft das alleine nicht. Und Sie kommen in zwei Stunden mit ein paar Weltklasse-Headlines zu mir, Reinartz. Für Schulze können wir nichts mehr tun. Aber für uns.«
Brauer schien noch etwas sagen zu wollen, aber dann schüttelte er nur den Kopf und verzog sich in sein Zimmer. Wir verzogen uns ebenfalls.
»Wir sollten kündigen«, sagte Sigi, als wir die Tür hinter uns zugemacht hatten.
»Ja, sollten wir. Aber ich bin hier noch nicht ganz fertig.«
»Was soll das heißen?«
»Das weiß ich selbst noch nicht ganz.«
»Und was weißt du halb?«
»Ich habe eben etwas entdeckt, das mir zu denken gibt. Es ist besser, wenn du im Moment gar nichts davon weißt. Laß uns so tun, als wäre überhaupt nichts passiert. Halt mir den Rücken frei und mach die Kamphausen-Präsentation so weit es geht ohne mich.«
»Ich hab keine Lust mehr, für dieses Arschloch zu arbeiten.«
»Tu mir den Gefallen, Sigi. Sieh es so, als würdest du damit gegen ihn arbeiten. Nichthandeln ist oft die größere Weisheit.«
»Jetzt komm mir nicht wieder mit deinem taoistischen Yin- und Yang-Kram.«
»Was du zusammendrücken willst, das mußt du erst richtig sich ausdehnen lassen«, zitierte ich den alten Meister Laotse, »was du schwächen willst, das mußt du erst richtig stark werden lassen, was du vernichten willst, das mußt du erst richtig aufblühen lassen, wem du nehmen willst, dem mußt du erst richtig geben.«
»Verstehe. Du gibst keine Ruhe mit dem Scheiß und nimmst mir den Verstand.«
»Bitte, Sigi!«
»Hm.«
9.
Ich ging in mein Zimmer und schloß die Tür ab. Was ich in Brauers Notizbuch gelesen hatte, war unglaublich. Und dieses Buch lag immer auf seinem Schreibtisch. Für jeden einsehbar, wenn Brauer nicht im Haus war. Entweder er war ein Idiot, oder er hatte Edgar Allan Poes Story >Der gestohlene Brief< gelesen. In dieser Geschichte wird das Haus des Diebes vergeblich nach geheimen Verstecken durchsucht. Man
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