Ciara
werden. Möchten Sie Ihr Frühstück auf dem Zimmer?«
Ciara räusperte sich und rief zur Tür: »Ja, bitte!«
Die Bewegungen auf dem Flur hörte sie lauter als gewöhnlich und sie wusste, dass die Geräusche um sie herum zu einem ohrenbetäubenden Orkan heranwachsen würden, falls sie sich keine Transfusion legte. Der Abend hatte sie geschwächt. Müde quälte sie sich aus dem Bett, schwankte für Sekunden und schlich dann zu ihrem Rucksack. Nacheinander holte sie die erforderlichen Utensilien hervor und erstarrte; in allen Beuteln ertastete sie dicke Brocken. Sie setzte sich auf den Boden, legte sich eine Kanüle und schloss den ersten Beutel an. Sie knetete, presste und drückte, es gab ein Geräusch, als öffnete jemand eine Sektflasche – endlich floss Blut aus dem Kern des Beutels, doch schon nach wenigen Minuten verstopfte einer der Klumpen die Kanüle. Hastig wechselte Ciara diese aus und schloss nacheinander die übrigen Beutel an. Vertieft in die für sie lebenswichtige Transfusion, schreckte sie auf, als es erneut an der Tür klopfte. »Ihr Frühstück.«
»Stellen Sie es bitte vor die Tür!«, rief Ciara und freute sich, dass sie die sich entfernenden Schritte leiser vernahm als zuvor. Sie steckte den Beutel zwischen Hosengummi und Bauch, erhob sich, schloss die Tür auf und zog das Tablett herein, das sie anschließend zu ihrem Bett brachte.
Ohne sich die Mühe zu machen, die beiden Brötchen mit Aufschnitt zu belegen, biss sie hungrig ein Stück ab und stopfte sich dazu Käse und Wurst in den Mund. Sie aß, als habe sie seit Wochen nichts mehr gegessen, und leckte sogar das Marmeladentöpfchen aus, um keine der wertvollen Kohlenhydrate zu verschenken.
Nach dem Frühstück entfernte sie die Kanüle, duschte, zog sich schnell an und packte alles zusammen, was ihr gehörte. Das kleine silberne Schälchen, in dem sie die Räucherung entfacht hatte, steckte sie ebenfalls ein. Als Entschädigung hinterlegte sie einen Geldschein auf dem Tablett. Auch die verbrauchten Blutbeutel packte sie in ihren Rucksack. Bevor sie das Zimmer verließ, schaute sie sich ein letztes Mal um und suchte den Raum mit den Augen ab. Sie ließ nichts zurück.
Wie eine dicke Lage Eischnee bedeckte das jungfräuliche Weiß den Boden. Ciara trat auf den am frühen Morgen noch unbenutzten Bürgersteig und gelangte im Slalom zur nächsten Bäckerei. Dort kaufte sie sich ein zweites Frühstück und Proviant in Form von belegten Brötchen und Kuchen. Nachdem sie alles in ihrem Rucksack verstaut hatte, schaute sie auf ihre Armbanduhr und stellte beruhigt fest, dass das Kaufhaus in dieser Minute öffnete. Sie benötigte eine dickere Jacke, Mütze, Handschuhe und einen Schal, da sie beabsichtigte, den Tag über durch die Kälte zu marschieren. Außerdem kaufte sie noch ein zweites Paar dicke Stiefel, einen größeren Wanderrucksack, einen Thermoschlafsack und in der Lebensmittelabteilung mehrere Flaschen Wasser. Ohne ihre telepathischen Fähigkeiten sah sie sich nicht in der Lage, den richtigen Weg aufzuspüren, obwohl sie Furcht verspürte, diese zu häufig zu verwenden.
Sie zog sich in die Damentoilette zurück, die nach billigem Klopapier und Urin stank, als habe jemand vergessen, die Spülung zu betätigen. Ciara drängte die in ihr aufsteigende Übelkeit zurück. Sie durfte sich jetzt nicht mit menschlichen Schwächen aufhalten. Mitsamt ihrem Gepäck quetschte sie sich in eine Kabine, verriegelte die Tür, lehnte sich in eine Ecke, schloss die Augen und sammelte Energien. Dann lenkte sie ihre verborgen liegenden Sinne auf den Mann, von dem sie Antworten erwartete und nach dessen Tod sie sich sehnte.
Sein abartiger Geruch überdeckte den Toilettengestank, sie spürte seine Finger auf ihrer Haut und keuchte. Als sie ihn entdeckte, musste sie erneut würgen, schaffte es aber auch diesmal, ihr Frühstück im Magen zu behalten.
Seine Hand lag auf dem Mund einer jungen Frau, deren Augen weit aufgerissen waren. Gewaltsam drückte er ihren Kopf zur Seite und entblößte den Hals. Doch bevor er seine Gier stillte, drehte er sich in Ciaras Richtung, als spüre er ihre mentale Nähe. Er lachte hämisch. Dann biss er zu.
Aufdringliches Klopfen gegen die Tür riss Ciara aus der Konzentration.
»Bist du endlich fertig? So lang kann doch niemand auf der Toilette hocken. Ich sag dir, wenn du so eine elendige Fixerin bist, dann bring ich dich direkt zur Polizei. Also mach, dass du endlich da rauskommst!«
Hastig strich sich Ciara
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