Cinderellas letztes Date
auf ihr Bett fallen. Sie war froh, dass Emma ein Seminar besuchte. Sie brauchte Ruhe und Zeit zum Nachdenken. Sie und Billy waren die Personen in Clarissas Umfeld durchgegangen und zu der Erkenntnis gekommen, dass jeder der Mörder sein konnte.
In Rubys Beisein hatte Billy über den Internetzugang seines Handys die Polizeidatenbank nach Andrew und Vince durchforstet. Die Jungs waren unbescholten, brillierten durch Top-Leistungen an der Schule und später an der Uni. Beide engagierten sich sozial. Andrew war Pfadfinder und ehrenamtlicher Helfer in einem Seniorenheim. Vincent sammelte zu Weihnachten Kleidung für Obdachlose.
Im Vergleich zu der psychisch labilen Melanie und dem durchgeknallten Seth waren sie brave Lämmer. Wovon sich aber weder Billy noch Ruby täuschen lassen wollten. Clarissas mieses Verhalten hätte selbst einen Heiligen zur Weißglut gebracht.
Ruby hatte Billy von den Codenamen erzählt. Für einen Moment hatten sie gelacht und überlegt, wer wohl Robin Hood wäre: Andrew oder Vince. Da jedoch noch zwei Männer fehlten, um den Fünferreigen von „Prince Charming“ bis „Luzifer“ deuten zu können, verzichteten sie darauf, schon jetzt Namen zuzuordnen.
Ruby richtete sich auf und betrachtete Clarissas Foto, das in einem schönen, schlichten Goldrahmen auf ihrem Nachttisch stand. Es war im letzten Sommer während der Familienferien auf Cape Cod aufgenommen worden. Clarissa strahlte in die Kamera. Sie wirkte so jung und unschuldig. Schwer vorstellbar, dass sie andere Menschen hintergangen und schlecht behandelt hatte. Zu Ruby hatte Clarissa stets gehalten.
Ob es Stress zwischen Ruby und ihren Eltern gab, Ruby ihren ersten Liebeskummer bewältigen musste oder Weltschmerz ihr das Leben verdarb. Clarissa hörte ihr zu, tröstete sie und heiterte sie auf. Sie waren engste Vertraute, und weder ihr Bruder noch ein anderes Mädchen oder gar ein Typ hätten sich zwischen sie drängen können. Und auch, wenn Clarissa diese abscheuliche, finstere Seite besaß, war und blieb sie Rubys beste Freundin. Und der erzählte man immer alles. Zumindest beherzigte Ruby diese Regel.
„Dieser Billy Braxton ist ziemlich süß und sieht wahnsinnig gut aus“, vertraute sie dem Foto an. „Kannst du dich erinnern, dass ich dir mal von diesem Schauspieler aus der Serie ‚Heroes‘ vorgeschwärmt habe? Milo Ventimiglia. Billy könnte sein Zwillingsbruder sein, nur dass er noch attraktiver ist. Stell dir vor, als er meine Hand berührt hat, ist ein Kribbeln durch meinen Körper gelaufen – von den Zehen bis in die Haarspitzen. Ich schwöre es dir.“ Sie lachte und dachte an den jungen Polizisten.
Ob er eine Freundin hatte? Zumindest nicht in Ashbury. Schließlich war er gerade erst wegen seines Jobs in die Stadt gezogen. Was hatte er gesagt … wo war er zur Polizeischule gegangen? Cleveland. Die Stadt lag über sechshundert Kilometer von Ashbury entfernt. Das war weit weg. Wenn er dort eine Beziehung führen sollte, musste das Mädchen über kurz oder lang herziehen. Denn Fernbeziehungen hielten selten auf Dauer. Aber so, wie er sich in die Arbeit stürzte und neben seinem Job noch Clarissas Fall untersuchte, blieb ihm gar keine Zeit für eine feste Liebesgeschichte. Also war er vermutlich Single.
Aber wenn er doch vergeben sein sollte … was dann? Würde sie sich zwischen ihn und das Mädchen drängen? Niemals! So mies benahm sie sich nicht. Entweder funkte es zwischen ihm und ihr. Und er merkte, dass er sie wollte und die andere nicht. Doch einem anderen Mädchen den Freund abspenstig machen zeugte von einem schlechten Charakter. Siedendheiß fiel ihr ein, dass Clarissa in punkto „vergebene Männer“ keine Skrupel besessen hatte.
Ruby nahm den Bilderrahmen mit Clarissas Foto in die Hände. „Ich liebe dich trotzdem und bin immer auf deiner Seite.“
Ihr Handy brummte. Jemand schickte ihr eine Nachricht.
Sie legte den Bilderrahmen auf ihr Kopfkissen und lächelte ihre Schwester an. Dann zog sie das Handy aus ihrer Jackentasche. Eine SMS von einem unbekannten Absender. Sie öffnete ihre Mitteilungen. Vincent hatte ihr geschrieben.
„Du weißt den Namen von Clarissas letztem Lover nicht von mir. Verstanden?“, lautete der Text. Dann folgte in Großbuchstaben: OWEN.
Ruby ließ das Handy fallen, als habe sie sich an ihm verbrannt. Jeder Gedanke an Billy verschwand schlagartig. Ihr Magen krampfte sich zusammen. OWEN?! Wie hatte Clarissa ihr das antun können? Ihre Schwester wusste genau, wie viele
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