Cinderellas letztes Date
geworden. Erstens: Ich konnte noch nie ertragen, wenn Menschen Unrecht oder Gewalt widerfährt. Zweitens: Ich habe eine verdammt gute Menschenkenntnis, die mich für diesen Job prädestiniert. Und die verrät mir, dass du – so sehr du Clarissa auch geliebt hast – eifersüchtig auf sie warst. Denn in eurer Familie war die kleine Schwester der Star und vor allem Papas Liebling. Ich kann mir gut vorstellen, dass Clarissa auch sonst überall die erste Geige gespielt hat …“
Ruby wartete darauf, dass er Owens Namen erwähnte. Sie hatte sich zwar nicht verräterisch über die Dreier-Konstellation Owen, Clarissa und sie selbst geäußert, aber dadurch, dass Billy ihr Verhältnis zu ihrem Dad haargenau traf, traute sie ihm im Moment alles zu. Sie dachte an ihr rotes Gesicht nach Owens Abschiedsküssen vor dem „Bean & Leaf“ … Doch Billy erwähnte Owen nicht.
„Wenn Eltern mehrere Kinder haben, spricht eins sie immer besonders an. Vielleicht, weil sie sich in ihm wiedererkennen oder es Eigenschaften besitzt, die sie anziehend finden. Das heißt nicht, dass sie ihre anderen Kinder nicht genauso lieben. Dein Dad und deine Mom würden für dich und deinen Bruder ihr Leben ebenso geben wie für Clarissa, wenn sie dadurch wieder lebendig würde. Vergib deinem Vater, wenn er Clarissa vorgezogen hat. Er ist auch nur ein Mensch.“
Ruby schwieg und stocherte in ihrem Essen herum. Was Billy sagte, stimmte. Sicher nervte sie, dass ihre Eltern sie immer noch wie ein unmündiges Kind behandelten. Aber indem sie ihren Vater wegen seiner Geheimniskrämerei mit Sheriff Warden zurechtweisen wollte, startete sie in erster Linie den Versuch, seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu bekommen und ihm die Meinung zu sagen – auch wenn der wirkliche Grund dafür ihr Gefühl der Benachteiligung war.
„Ich wollte dir nicht den Appetit verderben“, meinte Billy, der sie aufmerksam beobachtete.
„Hast du nicht. Ich fühle mich ertappt.“
Er grinste. „Sollte nur ein gut gemeinter Ratschlag sein. Ich spreche aus Erfahrung.“ Er zögerte. „Ich habe dir von meinem tödlich verunglückten Bruder erzählt. Er hieß Timothy, auch Tim, und war der Liebling meiner Eltern. Egal was ich tat, er machte es besser. Er war klüger, charmanter, lustiger und sah besser aus. Das Schlimme war, ich konnte weder Mom und Dad noch Tim böse sein. Er war großartig! Tja, und dann erhielten wir an seinem sechzehnten Geburtstag die Nachricht von seinem Tod. Tim hatte zur Feier des Tages einen Sportwagen geknackt und geklaut. Er besaß keinen Führerschein und ist mit dem Flitzer bei überhöhtem Tempo aus einer Kurve geflogen und gegen einen Baum geprallt. Tim und seine Beifahrerin, ein fünfzehnjähriges Mädchen aus seiner Schule, haben sich das Genick gebrochen und waren auf der Stelle tot. Angeblich hat ihm ein anderes Fahrzeug die Vorfahrt genommen. Aber der Fahrer beging Fahrerflucht und wurde niemals aufgespürt. Das ist übrigens der dritte Grund, warum ich Polizist geworden bin. Ich möchte, dass Schuldige ihre Strafe bekommen. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass mein Bruder so oder so an dem Tag gestorben wäre. Er ist wie ein Irrer gerast. Das konnte man an dem zerfetzten Unfallwagen erkennen. Meine Eltern schämten sich, weil ihr Sohn ein Dieb war und nicht ihrer Idealvorstellung entsprach, sondern ein wilder Teenager war und dass ihn das sein Leben und das eines unschuldigen Mädchens gekostet hat. Nach seiner Beerdigung sprachen sie nie wieder über ihn. Dieses Schweigen hat mich rasend gemacht. Ich habe sie angeschrien und ihnen vorgeworfen, dass sie Tims wahres Ich nicht sehen und akzeptieren wollten. Dieb hin oder her – er war ihr Sohn. Ich habe meinen Bruder verteidigt. Aber gleichzeitig wollte ich ihnen auch vor Augen führen, dass sie den Falschen zu ihrem Kronprinzen ernannt hatten. Tim war durchgeknallt, ich nicht.“
„Hm … man kann halt nichts dagegen machen, wo die Liebe hinfällt.“ Ruby lächelte Billy an. Sie wusste nur zu gut, wie es war, immer an zweiter Stelle zu stehen. Gleichzeitig konnte sie sich gar nicht vorstellen, dass sein Bruder attraktiver, smarter und intelligenter gewesen sein sollte. Das war unmöglich. „Ich hätte dich vorgezogen“, sagte sie unvermittelt und wurde auf der Stelle rot.
„Danke“, entgegnete Billy und starrte verlegen auf seinen Teller. Als er den Blick hob, wirkte er gar nicht mehr so cool wie sonst, sondern sah sie jungenhaft und verletzlich an. Rubys Herz hüpfte, und am liebsten
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