City Crime – Vermisst in Florenz
Gute an Florenz war, dass man die meisten Ziele zu Fuß erreichen konnte. Vom Vivoli bis zu den Uffizien waren es nur rund 600 Meter. An der Piazzale degli Uffizi blieben sie stehen.
Finn, der zum ersten Mal hier war, drehte sich staunend einmal im Kreis und betrachtete den gigantischen Palast mit seinen Säulengängen, die den Innenhof säumten, ebenso ehrfürchtig wie die zahlreichen Skulpturen, die in die Eckpfeiler eingearbeitet worden waren. »Wow!«, rief er. »Was war das früher einmal: der Amtssitz des Magistrats? Irgendwie krasser als unser schnödes Rathaus!«
Er betrachtete den großen Torbogen, durch den man auf den Innenhof gelangte. Im Stockwerk darüber fiel das Licht durch große Rundfenster in die Gänge der berühmten Gemäldegalerie. Davor stand – als würde sie den Gang bewachen – eine lebensgroße Skulptur. Das zweite Stockwerk hatte eine moderne Glasfront, die schon eher nach der Fensterfront einer Behörde aussah, was sie vermutlich auch war, wie Finn den Flaggen entnahm, die davor schlaff in der Windflaute hingen: eine italienische und die Europa-Fahne.
Joannas Blick dagegen richtete sich auf einen Punkt unterhalb der Skulpturen, direkt über dem Torbogen: »Seht mal: das Wappen! Das kommt auch in Papas Notizbuch vor!«
»Wirklich?«
Joanna holte das Büchlein hervor, blätterte darin herum und zeigte es ihrem Bruder.
Plötzlich, als beide ihre Köpfe über dem Büchlein zusammensteckten und das Wappen betrachteten, brüllte Andrea von hinten: »Attenzione!«
Erschrocken fuhren Finn und Joanna herum, doch da war es schon zu spät. Finn sah nur noch einen Schatten, der vorbeihuschte und in der Touristenmenge verschwand. Doch Andrea hatte aufgepasst und war hellwach.
»Il tuo telefonino!«, rief er und rannte los.
»Was?« Finn stand nur verdattert da.
Joanna begriff: »Da hat einer dein Handy gezockt!«
»Was?« Finn griff unwillkürlich an seine rechte Gesäßtasche, in der er sein Handy für gewöhnlich mit sich trug. Sie war leer! »Shit!« Sein Kopf wurde heiß, sein Herz begann zu pochen, der Puls trieb in die Höhe. »Das gibt’s doch nicht!«
»Los, Mann!« Joanna zog ihn heftig am Arm. »Hinterher!«
Auch sie flitzte los, solange sie in der Ferne noch Andrea’s Schopf erkennen konnte.
Endlich schaltete auch Finn und raste seiner Schwester hinterher. Im Slalom jagten sie in Höchstgeschwindigkeit durch die Touristenmenge, wobei es sich nicht vermeiden ließ, hier und da jemanden anzurempeln, den einen oder anderen rüde beiseitezustoßen und wagemutig über Kleinkinder, Taschen oder Hunde hinwegzuspringen.
Eine Welle von Flüchen und Beschimpfungen folgte den Kindern aus der Menge heraus, doch darauf hörten sie jetzt nicht. Bloß nicht Andrea aus den Augen verlieren!
Andrea setzte alles daran, den Dieb einzuholen. Er war verdammt schnell, musste Joanna neidlos anerkennen. Andrea sauste durch die Menschenmenge, ohne auch nur halb so viele Passanten anzustoßen, wie sie es tat. Als ob er das täglich übte, schoss es ihr durch den Kopf.
Das Gute war, dass es keine Ausweichmöglichkeit für den Dieb gab. Zur einen Seite, durch den Torbogen, den sie gerade noch bestaunt hatten, führte der Weg direkt zu den riesigen Gebäuden der Uffizien, also in eine Sackgasse. Zur entgegengesetzten Seite, in die der Dieb geflohen war, führte nur die lange gerade Straße Piazzale degli Uffizi mit einer einzigen Abzweigung nach links in die Via Lambertesca, eine enge Häusergasse. Genau in die versuchte der Dieb zu fliehen, doch Andrea setzte nach. Vorbei am Museum Collezione Contini, vorbei an einer Trattoria, gegenüber eine Bar, und nur wenige Meter weiter verschwand der Junge durch eine doppelseitige Haustür aus massivem Holz, über der ein rotes Schild Vendesi darauf hinwies, dass man dieses Haus kaufen konnte. Mit anderen Worten: Es stand leer!
Andrea stieß mit einem lauten Krachen die Tür auf, die der Junge ihm vor der Nase hatte zuschlagen wollen. Und dann hatte er ihn!
Auf der Treppe zur ersten Etage packte Andrea den Dieb am rechten Fußgelenk, riss ihn erst zu Boden, dann die Treppe hinunter. Schreiend polterte der Junge die Stufen hinab. Ein äußerst schmerzhafter Sturz, wie Joanna annahm. Sie erreichte die Tür, als der Junge ihr gerade von der letzten Stufe fast vor die Füße kullerte. Da nahm sie erst wahr, um wen es sich bei dem Dieb handelte: um einen Jungen, kaum älter als ihr kleiner Bruder Finn, vermutlich sogar eher jünger.
Andrea nahm keine
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