City of Death - Blutiges Erbe (German Edition)
zwar volltrunken vor Schlaf gewesen, hatte mich aber ansehen und mit mir sprechen können. Als Meistervampir sollte Will das auch hinbekommen.
»Mr. Drake schläft«, sagte Micha und sah mich verwundert an, als ich auf ihn zueilte. Er war der oberste der menschlichen Wachen und einer von Wills Handlangern. Vampire brauchen nämlich auch menschliche Mitarbeiter, die am Tage Besorgungen machen oder, wie eben hier, die Vampire während ihres Schlafes beschützen.
»Ich weiß, aber ich muss ihn trotzdem sprechen«, sagte ich und stellte mich vor das Tor.
Micha warf mir einen unschlüssigen Blick zu. Er wusste, dass ich jederzeit bei seinem Herrn willkommen war, aber auch dass Vampire tagsüber nicht geweckt werden durften.
»Glaub mir, wenn er auf irgendjemanden sauer sein wird, dann bestimmt nicht auf dich«, sagte ich und drückte den Knopf, um das Tor zu öffnen. Micha sah mir nach, hielt mich aber nicht auf. Ich benötigte keinen Schlüssel , um in Wills Villa zu gelangen, weil kaum ein Vampir ein Schloss an der Tür hatte. Erstens wurde das Anwesen rundum bewacht, und zweitens würde ein Schloss niemanden aufhalten, der an den Wachen vorbeiwollte. Also musste ich nur die Klinke hinunterdrücken und war schon drin.
Die großen Fenster waren mit schwarzen Rollos verdeckt, sodass kein einziger Sonnenstrahl hindurch kam. Dadurch konnte sich ein Vampir tagsüber risikofrei in seiner Wohnung bewegen, vorausgesetzt, er war überhaupt wach. Trotz unserer modernen Technik hatten Vampire ihre natürliche Angst vor der Sonne aber nie ganz ablegen können, denn ich kannte keinen einzigen Vampir, der nicht immer noch unter der Erde schlief. Es war nun mal der einzig sichere Ort vor der Sonne.
Ich zog meine Schuhe aus, hängte Jacke und Tasche an die Garderobe und ging die Treppe hinunter. Ich war erst einmal in Wills Schlafzimmer gewesen, aber da hatte er nicht geschlafen, sondern mir Vorhaltungen gemacht , weil ich Stacy unerlaubt in seine Villa gebracht hatte. Ich wusste also nicht, was mich erwartete. Um der Höflichkeit willen klopfte ich an, bevor ich eintrat, doch wie erwartet, bat er mich nicht hinein. Was ich allerdings nicht erwartet hatte, war, Will zugedeckt in seinem Bett schlafen zu sehen. Ich meine, ich wusste dass moderne Vampire nicht in Särgen schliefen, aber es war trotzdem ein sonderbarer Anblick – vor allem weil er völlig starr und leblos dalag. Ich knipste das Licht an und näherte mich dem Bett. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, weil er aussah wie ein kleiner Junge. Will lag gerade auf dem Rücken, nur der Kopf schaute aus der Decke und war mir zugewandt. Sein schwarzes dichtes Haar war völlig zerzaust und stand in alle Richtungen ab.
»Will«, sagte ich und blieb neben dem Bett stehen. »Hey, aufwachen!«, sagte ich lauter, als er nicht reagierte und piekte ihm in die Wange. Sein Gesicht zuckte kurz, aber mehr geschah nicht. Okay, dann auf die harte Tour! Ich beugte mich über ihn, um an sein linkes Ohr zu gelangen, und rief laut und deutlich seinen Namen.
Blitzschnell öffneten sich seine Augen, dann lag ich plötzlich auf dem Rücken und Will über mir. Sein Gewicht drückte mich in die Matratze , und seine Haare kitzelten mir im Gesicht, aber er sah nicht freundlich aus. Seine Fangzähne waren ausgefahren, und über seinen Augen lag eine milchig weiße Schicht, als hätte er Kontaktlinsen drauf. Vampire nannten es ‚Schlaf‘. Es war ein tranceähnlicher Zustand, den ältere Vampire beim Schlafen entwickelten. Ich glaube, er erkannte mich überhaupt nicht. Vor lauter Schreck hatte ich aufgehört zu atmen.
»Will, ich bin‘s«, sagte ich mit beruhigender Stimme. Er fauchte, und meine Schultern taten weh, weil er seine Hände darauf gestützt hatte. Ich wusste nicht, wie viel er wog, aber er war so schwer, dass mir Tränen in die Augen stiegen. »Ich bin‘s, Cherry«, wiederholte ich, als er nicht reagierte.
»Cherry?«, fragte er , und da erst klärte sich sein Blick. Die milchige Schicht verschwand, und seine Augen wurden wieder dunkel. »Was machst du hier?«, fragte er und nahm seine Hände von meinen Schultern. Er legte sie auf das Bett, sodass sein Gewicht nicht länger auf meinen Schultern lastete.
Wills Bewegungen waren schwerfällig, wie bei einem Betrunkenen. Offenbar hatte er seine letzten Kräfte aufgebraucht, um mich herumzureißen, denn er wirkte mehr als erschöpft. Irgendwie hatte er es geschafft, dass sich die Decke um seine Hüften gewickelt hatte, als er
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