Clancy, Tom
an der Wand
richtig gelesen und seine Familie außer Landes gebracht hatte, bevor die
Revolutionäre die Dynastie Romanow stürzten und Zar Nikolaus und seine Familie
umbrachten.
»Hattest
du einen schweren Tag im Büro?«, fragte Mary Pat ihren Mann.
»Anstrengend,
furchtbar anstrengend. So viele lange Wörter und so ein kleines Wörterbuch.« Er
küsste sie auf die Wange. »Und wie geht's dir?«
»Gut,
gut.«
»Wieder am
Grübeln, was? Über du weißt schon, wen?«
Mary Pat
nickte. »Ich muss heute noch rüberfahren. Vielleicht ist was Heißes
reingekommen. Glaube ich natürlich erst, wenn ich's sehe.«
Ed
runzelte die Stirn, aber Mary Pat wusste nicht, ob er sich ärgerte, nicht mehr
dabei sein zu dürfen, oder ob er ebenso skeptisch war wie sie. Die Terroristen
von heute wurden im Umgang mit den Geheimdiensten täglich gewitzter, besonders
seit dem 11. September.
Mary Pat
und Ed Foley hatten sich beide das Recht auf einen milden Zynismus erworben,
nachdem sie die Arbeit und die verzwickte Geschichte der CIA fast dreißig
Jahre lang aus erster Hand mitbekommen hatten. Sie hatten zuerst als
Agentenpaar in Moskau gearbeitet, als in Russland noch die Sowjets herrschten
und der einzige Angstgegner der CIA der KGB und die anderen Geheimdienste des
Ostblocks gewesen waren.
Beide
hatten dann im Directorate of Operations der Zentrale in Langley Karriere
gemacht. Ed war bis zum Director of Central Intelligence oder DCI aufgestiegen,
während Mary Pat, nachdem sie Deputy Director for Operations (DDO) geworden
war, eine Querversetzung als stellvertretende Direktorin ins NCTC - das
National Counterterrorism Center - beantragt hatte. Wie erwartet, hatte die
Gerüchteküche sofort zu brodeln begonnen. Es hieß, Mary Pat sei in
Wirklichkeit degradiert worden, und ihr Wechsel vom DDO ins NCTC sei nur die
erste Station auf dem Weg zur Frühpensionierung. Natürlich hätte nichts
falscher sein können. Das NCTC war die Speerspitze, und dort wollte Mary Pat
hin.
Die
Entscheidung war ihr allerdings dadurch erleichtert worden, dass ihr altes
Zuhause, das DO, nicht mehr war, was es einmal gewesen war. Sein neuer Name,
Clandestine Service, fanden beide zwar ziemlich albern (obwohl sie natürlich
beide nicht glaubten, dass der alte, Directorate of Operations, eine
Menschenseele über die wahren Aufgaben der Behörde getäuscht hätte, kam ihnen
Clandestine Service einfach ein bisschen großkotzig vor), aber sie wussten
auch, dass er nur ein neues Etikett war. Leider war diese Änderung wohl mit
einer, wie sie zu erkennen meinten, Abwendung von der Geheimdienstarbeit und
Hinwendung zur Politik einhergegangen. Mary Pat und Ed hatten zwar ihre
eigenen - und oft gegensätzlichen - politischen Ansichten, stimmten aber auf
jeden Fall darin überein, dass sich Geheimdiensttätigkeit nicht mit Politik
vertrug. Viel zu viele hohe CIA-Funktionäre waren schlicht und einfach Beamte,
die ein paar Karrierepunkte sammeln wollten, bevor sie nach Höherem strebten.
Diese Haltung hatten die Foleys nie verstanden. Ihrer Ansicht nach gab es
nichts Höheres, als sein Land zu verteidigen, ob in Uniform auf dem
Schlachtfeld oder hinter den Kulissen dessen, was der CIA-Spionagechef James
Jesus Angleton im Kalten Krieg die »Spiegelwildnis« genannt hatte. Es kam dabei
nicht darauf an, dass Angleton sehr wahrscheinlich an pathologischem
Verfolgungswahn gelitten und mit seiner manischen Suche nach angeblichen sowjetischen
Maulwürfen die CIA von innen her wie ein Krebs zerfressen hatte. Mary Pat hielt
Angletons Bezeichnung für die Welt der Spionage für absolut zutreffend.
Sosehr sie
ihre Arbeitswelt auch mochte — die »Wildnis« forderte unerbittlich Opfer. In
den letzten Monaten hatten sie und Ed angefangen, über ihre Pensionierung zu
sprechen, und auch wenn ihr Ehemann taktvoll wie immer (wenn auch nicht gerade
feinfühlig) gewesen war, wusste sie, worauf er hinauswollte, wenn er wieder das National-Geographic-Heft offen auf
dem Tisch liegen ließ, sodass ein Bild der Fidschi-Inseln oder ein Bericht über
Neuseeland zu sehen war, zwei Orte, die sie »irgendwann« einmal besuchen
wollten.
In den
seltenen Augenblicken, wenn sie sich gestattete, über sich selbst statt über
ihre Arbeit nachzudenken, war Mary Pat aufgefallen, dass sie um die entscheidende
Frage Warum bleibe ich noch? herumstrich,
anstatt sie wirklich anzugehen. Sie hatten reichlich Geld für ihren Ruhestand
und beide eine Menge zu tun. Wenn es also nicht ums Geld ging, worum
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