Clara
Umgebung nicht nur unangenehm feucht, er sprach dann auch so außergewöhnlich artikuliert, daß jeder Mensch im Umkreis von fünfzehn Metern ihn klar verstehen konnte. »Mit Ihrem schönen eigenen Büro isset ja wohl bald Essig, Chef, wa?« zischelte er. »Habt er se auch schon gesehen?« Verschwörerblick. »Echt nich’? Unser neuer Boss, die oberste Majestät! Ziemlicher Feger, wenn ihr meine unmaßgebliche Meinung hören wollt. Die läßt sich den Käs nich’ nehmen. Trotzdem, ich glaub, die is’ in Ordnung. Hab ja schon selbst mit ihr gesprochen. Die soll ja mit ’ner Frau zusammenleben, aber fragt mich nich. Verheiratet muß die aber auch schon mal gewesen sein, sogar öfters. Aber wat kann man schon auf dat geben, wat die Leute quaken? Außerdem hat die rote Haare. Mehr muß ich ja wohl nich’ sagen! Warum guckt ihr denn so?
Die is’ übr’ens genauso alt wie Sie, Chef, hat sogar am selben Tag Geburtstach. Wenn dat nix heißt! Jedenfalls hat die oben anner Schweizer Straße ’n Haus gekauft, zusammen mit der Freundin oder wat dat is’ – Anwältin, hab ich gehört. Jedenfalls is’ die Dame schon vor Ort. Un’ dat die lesbisch is’, glaub ich persönlich ja nich’.« Endlich hörte er mit dem Flüstern auf. »Charlotte Meinhard heißt se.« Er lachte herzhaft. »Charlie, übernehmen Sie?«
Sigrid Poorten sah ihrer Mutter sehr ähnlich, die gleichen kurzen braunen Locken, das gleiche offene Gesicht. Sie ließ Astrid hinein, blieb dann aber zögernd im Flur stehen. Aus dem Wohnzimmer hörte man aufgeregte Stimmen.
»Können wir nicht woanders miteinander reden?« meinte sie. »Meine Tante und meine Oma sind da.«
»Sicher«, nickte Astrid. »Gibt es denn hier eine einigermaßen vernünftige Kneipe?«
Das Mädchen lachte kurz auf. »Wohl kaum.« Dann strich sie sich müde die Haare aus dem Gesicht. »Wir könnten in die Pommesbude gehen. Wenn ich ehrlich bin, habe ich nämlich Hunger wie ein Tier.«
Sie nahm einen langen weißen Wollschal vom Garderobenhaken und wickelte ihn zweimal um den Hals. »Warten Sie, ich sage nur kurz meinen Eltern Bescheid.«
Astrid ließ ihr Auto stehen; bis zu Harry’s Imbiß waren es nur ein paar hundert Meter.
»Bei uns geht alles drunter und drüber«, erzählte das Mädchen. »Ich werd noch verrückt. Den ganzen Tag klingelt das Telefon, hundert Leute kommen angetrabt, um Trost zu spenden. Lächerlich!«
Astrid stutzte. »Wieso lächerlich?«
»Als wenn man da trösten könnte! Mist, ich hab meine Handschuhe vergessen.« Sie hauchte sich in die gewölbten Handflächen und sah Astrid ins Gesicht. »Ich kriege das alles überhaupt nicht auf die Reihe. Die ganze Zeit versuche ich, mir irgendwie den Kopf für das Abi freizuhalten. Dabei hab ich das Gefühl, ich ersticke an dem Kloß in meinem Hals.«
In der kleinen Imbißstube gab es nur drei Tische, und sie waren die einzigen Gäste. Ein älterer Mann, Harry vermutlich, mit Pomade im schütteren Haar kam sofort gelaufen, legte zwei in Papierservietten gewickelte Besteckpäckchen auf den Tisch und hauchte: »Mein Beileid, Sigi.« Dann zückte er Bleistift und Block und schaute auffordernd von einer zur anderen.
»Currywurst mit Pommes und Mayo und ’ne Cola«, bestellte Sigrid.
Astrid hatte eigentlich noch keinen Hunger, aber wenn sie dem Mädchen beim Essen zuschaute, würde das Gespräch wohl kaum entspannt laufen.
»Bringen Sie mir eine Fleischrolle mit Pommes.«
»Spezial?«
»Nein, ohne alles. Und einen Kaffee vorher, bitte.«
»Kaffee ham wer nich’.«
»Dann auch eine Cola.«
Sigrid wickelte endlich ihren Schal ab. »Und Sie sind bei der Kripo? Komisch!«
Ähnliche Sätze hatte Astrid schon hundertmal gehört. »Wieso ist das komisch?«
»Ich weiß auch nicht«, antwortete das Mädchen gedehnt. »Kommissarinnen habe ich mir einfach anders vorgestellt, irgendwie bärbeißig.«
Astrid lachte. »Sie haben mich noch nicht in Aktion erlebt!« Dabei holte sie ihren Notizblock aus der Tasche. »Wie weit sind Sie denn mit dem Abi?«
»Es dauert noch ein paar Wochen, bis es los geht. Aber wir schreiben vorher noch zwei Klausuren. Morgen ist Deutsch dran.«
»Irgendwelche Probleme?«
»Nö, eigentlich kann gar nichts mehr schiefgehen.« Sie stockte und starrte auf die Tischplatte. »Können Sie mir denn sagen, was nun eigentlich mit meinem Bruder passiert ist?«
Astrid atmete einmal tief durch und erzählte dann, so schonend wie möglich, was sie bisher wußten.
»Zusammengeschlagen?« Das
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