Clarissa Alaska-Saga 04 - Allein durch die Wildnis
ich denn mehr? Sieh du lieber zu, dass du bald wieder auf die Beine kommst. Du hast viel mehr durchgemacht als ich. Wir hatten große Angst um dich.«
»Ich hatte Glück, Betty-Sue.« Sie glaubte, ihrer Freundin einen Bericht schuldig zu sein, und erzählte in wenigen Sätzen, wie es ihr ergangen war. Sie untertrieb eher, verschwieg die Qualen, die Thomas Whittler ihrer Freundin angedroht hatte, und berichtete in lapidaren Worten, die verschleierten, wie groß ihre Angst wirklich gewesen war. »Die Männer, die dich entführt hatten«, fuhr sie vorsichtig fort. »Haben Sie zugegeben, dass sie im Auftrag von Thomas Whittler gehandelt haben? Haben wir was gegen ihn in der Hand?«
»Leider nein«, antwortete Betty-Sue. »Ich war die meiste Zeit allein in der Blockhütte, und wenn sie bei mir waren, haben sie nur von ihrem ›Boss‹ gesprochen. Ich wusste lange Zeit selbst nicht, dass meine Entführung was mit dir zu tun hatte. Erst als dein Name fiel, wurde mir so manches klar. Aber Whittler haben sie nie erwähnt, und ich bezweifle, dass sie noch was herausbekommen.« Sie schwieg eine Weile. »Der Marshal war gestern Abend hier. Einer meiner beiden Entführer ist tot … Die Kugel lag zu nahe am Herzen. Und der andere wird wohl Monate brauchen, um wieder halbwegs der Alte zu sein. Von dem können wir nichts erwarten. Selbst wenn er Thomas Whittler beschuldigen würde, könnte ein Gericht mit seiner Aussage nichts anfangen.«
»Ich könnte aussagen«, erwiderte Clarissa. »Whittler hat oft genug erwähnt, dass dich zwei seiner Männer in der Gewalt hätten und dir …« Sie bremste sich gerade noch rechtzeitig. »Ich könnte es sogar beschwören.«
»Und Thomas Whittler würde das Gegenteil behaupten, dann stünde Aussage gegen Aussage. Das hat mir der Marshal gestern auch gesagt. Er kann nichts für uns tun. Der Fall ist für ihn erledigt. Thomas Whittler ist ein angesehener Mann in Alaska, und ich glaube kaum, dass es jemand wagt, gegen ihn vorzugehen, vor allem, wenn er keine eindeutigen Beweise hat. Solange er die Alaska Central Railroad hinter sich weiß, kann ihm nichts passieren.«
Etwas anderes hatte Clarissa auch nicht erwartet. Mächtige Leute wie er schafften es immer wieder, sich der Verantwortung zu entziehen. Seufzend fügte sie sich in ihr Schicksal. Sie hegte keine Rachegefühle gegen Thomas Whittler, sie wollte lediglich in Ruhe gelassen werden, mit Alex nach seiner Rückkehr einen neuen Anfang wagen und ihr ungeborenes Kind in Sicherheit wissen. Ein Wunsch, der nicht in Erfüllung gehen würde, das wusste sie jetzt schon. Millionäre wie Thomas Whittler waren es nicht gewohnt, Niederlagen hinzunehmen, und ruhten nicht eher, bis sie sich für die Demütigung gerächt hatten. Er würde sie in die Knie zwingen wollen und auch nicht davor zurückschrecken, ein ungeborenes Leben zu gefährden. Alex, komm bitte bald zurück, flüsterte sie in Gedanken. Nur zusammen mit ihrem Mann war sie stark genug, sich gegen Thomas Whittler und seine Handlanger zu wehren.
Ob ihre Kraft und Entschlossenheit ausreichten, sich auch gegen eine indianische Hexe wie Dezba durchzusetzen, wusste sie nicht. Noch war ihr nicht klar, ob sie nur eine Gestalt aus einer alten Legende war oder tatsächlich existierte, wie einige Indianer behaupteten, eine verbitterte Frau, die neugeborene Babys raubte, weil sie ihr eigenes Kind verloren hatte. Gefährlich war sie allemal, denn in dieser Wildnis erwachten auch Legenden zum Leben. Würde sie sonst ein geheimnisvoller Geisterwolf wie Bones durchs Leben begleiten und ihr Hunderte Kilometer durch Kanada und Alaska folgen? Sie lebte lange genug im hohen Norden, um auch das Unmögliche zu glauben.
Nach weiteren zwei Tagen war Clarissa wieder vollkommen gesund. »Sie hatten Glück, Clarissa«, sagte Doc Boone, nachdem er sie noch einmal untersucht hatte, »das hätte leicht eine Lungenentzündung werden können. Schonen Sie sich noch ein wenig, bevor Sie wieder voll einsteigen. Ein bisschen Ruhe wird Ihnen und Ihrem Kind guttun. Sie sind schwanger, vergessen Sie das nicht.«
»Vielen Dank, Doc. Für alles«, erwiderte sie.
»Bedanken Sie sich bei Betty-Sue. Sie war die ganze Zeit bei Ihnen.«
Irgendjemand hatte Dolly benachrichtigt, die mit dem Fuhrwerk in die Stadt kam und vor dem Haus des Doc vom Kutschbock kletterte, als Clarissa sich von ihm, seiner Frau und Betty verabschiedete. »Clarissa!«, rief ihre Freundin begeistert. »Ich hab erst heute Morgen erfahren, dass du wieder im
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