Clarissa - Wo der Himmel brennt
Soapy Smith ihr angedroht hatte, sie Frank Whittler oder der Polizei auszuliefern, war sie wieder so nervös wie vor mehr als zwei Jahren, als sie im Zug aus Vancouver geflohen war, zumindest beim Anblick eines Fremden, der schon in seinem Büffelfellmantel und mit dem Gewehr so bedrohlich wirkte, dass auch andere Leute, die keine Angst zu haben brauchten, vor ihm zurückwichen. Wollte er sich die tausend Dollar verdienen, die Frank Whittler auf ihre Ergreifung ausgesetzt hatte? Ein Kopfgeldjäger, wie es sie sonst nur in Romanen gab? Oder war er gar ein Polizist der North West Mounted Police?
Sie senkte den Kopf, als er an ihr vorbeiging. Der Mann roch nach einem starken Tabak und fettem Essen. Sie sah ihm vorsichtig nach und beobachtete, wie er die Straße überquerte und an die Tür von Mrs Buchanan’s Boarding House klopfte. Sie erstarrte vor Angst, jetzt war sie beinahe sicher, dass er ihretwegen gekommen war. Aber woher sollte er wissen, dass sie bei Mrs Buchanan wohnte? Hatte Soapy Smith sein Versprechen, sie nicht zu verraten, schon vor dem Abendessen im Flagler’s gebrochen? Hatte er sie auf jeden Fall verraten wollen?
So unauffällig wie möglich zog sie sich unter das Vorbaudach eines Gehsteigs zurück. Aus ihrer Deckung beobachtete sie, wie Mrs Buchanan die Tür öffnete und die Nase rümpfte, als sie den Geruch des Fremden in die Nase bekam. Er fragte etwas, und sie schüttelte den Kopf, antwortete ihm und deutete die Straße hinauf. Der Mann blieb misstrauisch, und Mrs Buchanan antwortete ihm noch einmal und zog die Haustür auf, anscheinend um ihm zu beweisen, dass niemand außer ihr im Haus war. Sie zuckte die Achseln und blieb noch eine Weile in der offenen Tür stehen, nachdem er sich wortlos von ihr verabschiedet hatte und sichtlich schlechter Laune die Straße hinauflief.
Clarissa wartete geduldig, bis er in einem der Saloons verschwunden war und sich anscheinend erst mal aufwärmen wollte, bis er weiter nach ihr suchte. Denn dass er sich ihretwegen in Skaguay aufhielt, war ihr inzwischen klar. Frank Whittler war die Reise wohl zu anstrengend gewesen. Ihm waren die tausend Dollar, die er für ihre Ergreifung bezahlen musste, sicher egal, und seine Rache konnte er immer noch auskosten, wenn sie in Vancouver war.
Die Angst, die sie schon in Port Essington zum überstürzten Aufbruch getrieben hatte, ergriff auch jetzt von ihr Besitz und trieb sie zu äußerster Eile an. Mit dem Geld, das dem Sohn eines mehrfachen Millionärs zur Verfügung stand, hatte Frank Whittler sicher einen der besten Jäger des Landes verpflichtet. Einen erfahrenen Mann, der jede Spur lesen konnte, vielleicht noch besser als Alex, und der bereit war, für Geld alles zu versuchen.
Sie lief zur Pension zurück und traf die Wirtin in ihrem Zimmer. Sie hatte bereits ihre Winterkleidung aufs Bett gelegt, die Baumwollhose, die dicke Felljacke, die Stiefel, und war gerade dabei, ihre restlichen Kleider in einen alten Rucksack zu stopfen. »Du musst hier weg!«, sagte sie, als Clarissa in der Tür erschien. »Der Mann im Büffelfellmantel hat nach dir gefragt. Er klang nicht besonders freundlich. Ich hab ihm gesagt, dass du nach Dyea gezogen bist und dort in einem Hotel wohnst. Keine Ahnung, ob er mir geglaubt hat.«
»Ich hab euch gesehen«, erwiderte Clarissa.
Mrs Buchanan deutete auf die Winterkleidung. »Zieh deine alten Kleider an, darin erkennt man dich nicht so schnell. Er ist gefährlich. Am besten fährst du mit der Bristol nach Sitka oder Juneau zurück und versteckst dich dort. Da vermutet er dich bestimmt nicht. Ich nehme an, er ist ein Kopfgeldjäger oder so was Ähnliches. Einer, der Geld dafür bekommt, wenn er dich nach Vancouver zurückbringt. Und wenn es einen Auslieferungsbefehl gibt …«
»Ich gehe über den Pass«, unterbrach Clarissa sie. »Ich gehe zu Dolly nach Dawson City. Sag Alex, dass ich dort auf ihn warte. Ich bin sicher, er kommt im Frühjahr. Er ist wahrscheinlich verletzt und überwintert bei den Indianern, so wie ich vor zwei Jahren. Sag ihm … Sag ihm, dass ich ihn über alles liebe.«
»Aber … Es ist Winter! Der Yukon ist zugeforen!«
»Ich heuere einen der Indianer mit einem Hundeschlitten an«, erklärte Clarissa. »Zur Not wechsele ich mich mit ihm ab. Ich weiß, wie man einen Schlitten steuert. Ich bin mit einem Fallensteller verheiratet, vergiss das nicht. Wir brauchen wahrscheinlich nicht so lange wie die Leute in den Booten.«
»Aber der Pass … Der Trail ist gefährlich!
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