Clarissa - Wo der Himmel brennt
Weise zu vertreiben oder gar zu töten? Sie hoffte, dass dem nicht so war, und der Verbrecherkönig wenigstens ein bisschen Anstand walten ließ.
Das Knacken wurde lauter, vermischte sich mit dem nervösen Schnauben von Pferden und zwei männlichen Stimmen. Zwei Männer, die keine Ahnung zu haben schienen, dass sie nicht allein im Wald waren, und sich ungeniert unterhielten. Die Stimme des einen Mannes klang vertraut, als er sagte: »Und du meinst, wir kriegen hundert Leute für ein solches Komitee zusammen?«
»Hundert?« Der andere Mann lachte. »Hunderteins, würde ich sagen. Wie wär’s mit ›Committee of 101‹? Das wär doch ein schöner Name für unsere Bürgerwehr. Mit 101 ausgesuchten Männern zwingen wir Soapy Smith bestimmt in die Knie.« Wieder schnaubte ein Pferd, und sie verpasste einen Halbsatz. »… Zeit, dass endlich Recht und Ordnung nach Skaguay kommen.«
»Schön wär’s, Frank.« Ihr fiel plötzlich ein, wem die vertraute Stimme gehörte, das war Fitz. Tom Fitzpatrick! »Aber bisher hat er sich immer rauswinden können. Er kontrolliert alles und jeden in dieser Stadt. Gestern Abend hat er einen jungen Iren umbringen lassen … Ich bin ganz sicher, dass er es war. Wegen ein paar Hundert Dollar. Und er besitzt sogar noch die Frechheit, seine Beerdigung bezahlen zu wollen. Ich bin dafür, dass wir alle zusammenlegen.«
Clarissa hatte genug gehört. »Fitz!«, rief sie so laut, dass die Männer sie hören konnten. »Ich bin’s, Clarissa! Wir brauchen dringend Hilfe! Hier drüben am Waldrand!« Sie lief den Männern ein paar Schritte entgegen und winkte. »Dolly Kinkaid ist bei mir, die Frau … Witwe von Luther Kinkaid.«
Fitz und sein Begleiter, beide mit wasserdichten Regenumhängen, lenkten ihre Pferde zwischen den Bäumen hervor und stiegen vor den Frauen aus dem Sattel. »Clarissa!«, wunderte er sich. »Was in aller Welt tun Sie denn hier?«
Sie schilderte in wenigen Worten, was geschehen war. Während sie sprach, kramte er bereits seinen Erste-Hilfe-Beutel aus den Satteltaschen und machte sich daran, die Wunden der Engländerin mit Jod und Wundsalbe zu behandeln und neue Verbände anzulegen. Er benahm sich geschickter als mancher Arzt. Nachdem er fertig war, hob er sie mit erstaunlicher Leichtigkeit vom Boden auf und setzte sie behutsam in den Sattel seines Pferdes. Er reichte ihr seinen Regenumhang und nickte nur, als sie sich lächelnd bedankte.
»Sie schickt der Himmel«, endete Clarissa ihren Bericht. »Ich wollte gerade allein losziehen, um Hilfe zu holen. Was machen Sie um diese Zeit hier?«
Fitz wechselte einen fragenden Blick mit seinem Begleiter.
»Geht es um die Bürgerwehr?«
»Sie haben uns belauscht, was?« Der alte Goldsucher musste unwillkürlich grinsen. »Ich hab schon auf dem Schiff erkannt, dass Sie keine gewöhnliche Frau sind. Aber wie ich Sie kenne, sind Sie genauso schlecht auf Soapy Smith zu sprechen wie wir. Und diese Dame wohl noch viel mehr.« Er blickte Dolly an. »Tut mir leid, was mit Ihrem Mann passiert ist, Ma’am. Aber dafür wird Soapy Smith büßen!« Er deutete auf seinen Begleiter. »Der freundliche Gentleman neben mir, der wie ein Buchhalter aussieht, ist dabei, ein Vigilantenkomitee zusammenzustellen, das den Verbrecher endlich dingfest macht.«
»Frank Reid«, stellte sich sein Begleiter vor. Er tippte sich an den etwas aus der Mode gekommenen Derby-Hut. »Mein aufrichtiges Beileid, Ma’am, aber ich kann Ihnen versprechen, dass wir Soapy Smith und seine Bande zur Rechenschaft ziehen werden. Wir können uns doch auf Ihre Verschwiegenheit verlassen? Unser Plan mit dem Komitee darf auf keinen Fall auffliegen.«
»Auf uns können Sie sich verlassen«, sagte Clarissa.
»Und ich werde Ihrem Komitee sogar beitreten«, versprach Dolly kämpferisch. »Sobald ich wieder laufen kann, bin ich dabei. Mit den Waffen einer Frau erreicht man manchmal mehr als mit Schusswaffen und Fäusten.« Sie bewegte sich im Sattel und kniff die Lippen zusammen, als der Schmerz zurückkehrte. »Und wenn ich die einzige Frau unter hundert Männern bleibe!«
Auch Frank Reid erwies sich als Gentleman, bot Clarissa seinen Regenumhang an und überließ ihr sein Pferd. Sie schaffte es allein in den Sattel und war erleichtert, nicht allein nach Skaguay laufen zu müssen. Fitz und Frank Reid führten die Pferde an den Zügeln, als sie in mehreren Serpentinen den steilen Hang erklommen und durch den Wald zur Straße zurückritten. Unterwegs erfuhr sie, dass die beiden
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