Clark Mary Higgins
Angestellten am Empfang. Sehen Sie, ich bin nämlich Schriftsteller, wie meine liebe Tante. Leider bin ich aber, im
Gegensatz zu ihr, von der Verlagswelt noch nicht entdeckt worden, und so halte ich mich eben damit über Wasser, daß ich am
Empfangspult in der Eingangshalle bei ›Cosmic Oil‹ sitze und
eintreffende Besucher anmelde. Nicht gerade eine Arbeit für
einen Geistesriesen, aber soviel ich weiß, hat auch Herman Melville als kleiner Angestellter gearbeitet.«
»Halten Sie sich für einen neuen Melville?« Neeve versuchte
gar nicht, den spöttischen Ton zu unterdrücken.
»Nein, ich schreibe ganz anders geartete Bücher. Mein letztes
hat den Titel ›Das geistige Leben des Hugh Hefner‹. Bisher hat
aber noch kein Lektor den Witz dabei kapiert.«
Damit war er zur Tür draußen. Neeve und Tse-Tse sahen sich
an. »Was für ein Ekel«, sagte Tse-Tse. »Wenn ich mir vorstelle,
daß er der einzige Verwandte der armen Ethel ist.«
Neeve suchte in ihrem Gedächtnis. »Ich glaube nicht, daß sie
ihn mir gegenüber je erwähnt hat.«
»Als ich vor vierzehn Tagen zum Putzen kam, telefonierte sie
gerade mit ihm und war richtiggehend aufgebracht. Ethel hortet
wie ein Eichhörnchen überall Geld in ihrer Wohnung, und sie
dachte, daß etwas davon fehlte. Sie beschuldigte ihn praktisch,
es gestohlen zu haben.«
Neeve bekam in der staubigen, überladenen Wohnung plötzlich Platzangst. Sie wollte schnellstens wieder raus. »Laß uns
bloß diese Kleider weghängen.«
Möglicherweise hatte Douglas Brown in der ersten Nacht auf
dem Sofa geschlafen, seither aber eindeutig Ethels Schlafzimmer benutzt. Auf dem Nachttisch stand ein voller Aschenbecher.
Ethel rauchte nicht. Die Louis-seize-Möbel waren teuer, wie
alles in dieser Wohnung, aber sie kamen in dem ganzen Durcheinander nicht zur Geltung. Parfumflaschen und Haarbürste,
Kamm und Handspiegel einer angelaufenen Silbergarnitur waren wahllos auf der Frisierkommode verstreut. Im Goldrahmen
des großen Spiegels steckten lauter vollgekritzelte Notizzettel.
Mehrere Herrenanzüge, Jacketts und Hosen lagen auf einer mit
rosa Damast bezogenen Chaiselongue ausgebreitet. Ein Koffer
war daruntergeschoben.
»Nicht einmal er hat sich getraut, Ethels Schrank durcheinanderzubringen«, bemerkte Neeve. Die Rückwand des ziemlich
großen Schlafzimmers wurde in ihrer ganzen Breite von einem
praktisch unterteilten Einbauschrank eingenommen. Vor vier
Jahren hatte Ethel Neeve zum erstenmal gebeten, ihre Garderobe
mit ihr durchzusehen. Damals hatte Neeve ihr klargemacht,
warum es kein Wunder war, daß sie sich nie wirklich gut anziehen konnte. Sie brauchte mehr Platz. Drei Wochen danach hatte
Ethel Neeve erneut zu sich gebeten. Sie hatte sie ins Schlafzimmer geführt und ihr voller Stolz ihre neuste Anschaffung gezeigt: eine nach Maß gefertigte Schrankwand, die sie zehntausend Dollar gekostet hatte. Die Schränke waren so unterteilt, daß
auf einer Seite zuerst alle Mäntel hingen, daneben alle Kostüme
und dann, wieder für sich, die Tageskleider. Es gab niedrige
Stangen für Blusen und hohe für Abendkleider, außerdem Fächer für Pullover und für Handtaschen und Regale für die Schuhe. Ein Fach war für den Schmuck reserviert und mit verzierten
Messinghaken versehen, an denen Halsketten und Armbänder
hingen. Zwei unheimlich lebendig wirkende Porzellanhände mit
gespreizten Fingern reckten sich, wie zum Gebet erhoben, darin
empor.
»Sehen die nicht so aus, als könnten sie einen erwürgen?« hatte Ethel fröhlich gefragt und auf die Hände gedeutet. »Sie sind
für die Ringe gedacht. Ich hab dem Möbelschreiner gesagt, daß
ich alle in ihren Etuis aufbewahre, aber er redete mir zu, sie
trotzdem zu nehmen. Sonst würde es mir eines Tages bestimmt
leid tun.«
Im Gegensatz zur übrigen Wohnung war Ethels Kleiderschrank tadellos aufgeräumt. Die Kleider hingen ordentlich auf
den mit Satin bezogenen Bügeln. Alle Reißverschlüsse waren
bis oben zugezogen, die Kostümjacken samt und sonders zugeknöpft. »Seit Ethel sich von dir anziehen läßt, bekommt sie von
allen Leuten Komplimente wegen ihrer Kleider«, bemerkte TseTse. »Und sie findet es herrlich.« An die Innenseiten der
Schranktüren hatte Ethel Neeves Listen geklebt, auf denen angegeben war, welches Zubehör sie zu welchen Kleidern tragen
sollte.
»Ich habe letzten Monat die ganze Garderobe mit Ethel
durchgesehen«, murmelte Neeve. »Wir wollten Platz machen für
die neuen Sachen.« Sie legte die
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