Clark Mary Higgins
Kleider aufs Bett und befreite
sie von den Plastikhüllen. »Nun gut, ich gehe jetzt genauso vor,
als ob Ethel dabei wäre. Ich verstaue den Kram und klebe die
Liste an.«
Während sie die neuen Kleidungsstücke sortierte und aufhängte, überprüfte sie zugleich den Inhalt des Schranks. Ethels
Zobelmantel. Ihre Nutriajacke. Der rote Kaschmirmantel. Der
Burberry. Das Tweed-Cape. Der weiße Mantel mit Persianerkragen. Der Ledermantel mit Gürtel. Dann kamen die Kostüme.
Von Donna Karan, Beene und – Neeve stockte, zwei Kleiderbügel mit neuen Kostümen in der Hand.
»Moment mal«, sagte sie und spähte zum obersten Regal hinauf. Sie wußte, daß Ethels Vuitton-Gepäck aus vier zusammenpassenden Stücken bestand, einem Kleidersack mit Reißverschlußtaschen, einer riesigen Reisetasche, einem großen und einem mittleren Koffer. Der Kleidersack, die Reisetasche und einer
der Koffer fehlten. »Das ist wieder mal typisch Ethel«, sagte
Neeve, während sie die beiden Kostüme in den Schrank hängte.
»Sie ist tatsächlich weggefahren. Das beige Ensemble mit dem
Nerzkragen ist nicht da.« Sie begann, alle Abteilungen auf fehlende Stücke hin durchzusehen. Das weiße Wollkostüm, das grüne Strickensemble, das schwarzweiß Bedruckte. »Es ist nicht zu
fassen! Sie hat einfach zusammengepackt und ist verreist. Ich
könnte sie eigenhändig erwürgen!« Sie strich sich die Haare aus
der Stirn. »Sieh mal«, sagte sie und zeigte auf die Liste an der
Schranktür und dann auf die leeren Stellen in den Regalen. »Sie
hat lauter warme Sachen mitgenommen. Wahrscheinlich fand sie
das Wetter zu lausig für leichte Frühjahrskleider. Ich würde es ihr
gönnen, wenn es da, wo sie ist, mindestens dreißig Grad warm ist. Che noiosa! Spero che muoia di caldo!«
»Langsam, Neeve«, unterbrach Tse-Tse sie. »Wenn du anfängst, Italienisch zu reden, beginnt deine Wut richtig zu kochen.«
Neeve zuckte die Achseln. »Sie kann mir im Mondschein begegnen. Und meine Rechnung schicke ich an ihren Buchhalter.
Der hat wenigstens seinen Kopf fest angeschraubt und vergißt
nie, pünktlich zu zahlen.« Sie sah Tse-Tse an. »Wie steht’s denn
mit dir? Hattest du damit gerechnet, heute Geld zu bekommen?«
Tse-Tse schüttelte den Kopf. »Sie hat mich letztes Mal im
voraus bezahlt. Ich komme schon zurecht.«
Im Geschäft erzählte Neeve Betty, was geschehen war.
»Sie sollten ihr die Taxispesen auf die Rechnung setzen und
sie obendrein für persönliche Lieferdienste bezahlen lassen«,
sagte Betty. »Die Frau ist wirklich der Gipfel!«
Mittags, als Neeve mit ihrem Vater telefonierte, erzählte sie
auch ihm die Geschichte. »Und ich war schon im Begriff, dich
die Unfallberichte durchsehen zu lassen«, sagte sie.
»Hör zu«, antwortete Myles, »jeder Zug würde eher aus den
Schienen springen, wenn diese Frau vor ihm auftauchte, als mit
ihr aneinanderzugeraten.«
Aus irgendeinem Grund hielt Neeves Verärgerung nicht an.
Vielmehr machte sie einer hartnäckigen Beunruhigung Platz,
daß etwas an Ethels plötzlicher Abreise nicht in Ordnung war.
Sie war auch noch nicht frei davon, als sie um halb sieben den
Laden schloß und zur Cocktailparty eilte, die von Women’s
Wear Daily im Hotel St. Regis gegeben wurde. In der schillernden, nach der neusten Mode gekleideten Menge der Gäste entdeckte sie Toni Mendell, die elegante Chefredakteurin von Contemporary Woman, und eilte auf sie zu.
»Wissen Sie vielleicht, wie lange Ethel weg sein wird?«
konnte Neeve sie durch das Stimmengewirr hindurch fragen.
»Nein. Ich bin überrascht, daß sie nicht hier ist«, sagte Toni.
»Sie sagte, sie würde kommen. Aber wir kennen Ethel ja.«
»Wann soll ihr Modeartikel erscheinen?«
»Am Donnerstag morgen hat sie uns das Manuskript abgeliefert. Ich mußte es zuerst von unseren Anwälten prüfen lassen,
damit wir sicher sein können, keine Verleumdungsklage zu riskieren. Ein paar Stellen mußten wir dann streichen, aber der
Artikel ist immer noch fabelhaft. Sie haben sicher von dem
Bombenvertrag gehört, den Ethel mit dem Verlag Givons and
Marks abgeschlossen hat?«
»Nein.«
Ein Kellner kam und bot Toasthäppchen mit Kaviar und
Lachs an. Neeve nahm sich eines. Toni schüttelte bedauernd den
Kopf. »Jetzt, wo man wieder Taille trägt, darf ich mir nicht einmal eine Olive gestatten.« Toni hatte Größe 38. »Also, der Artikel beschäftigt sich mit den wichtigsten Modeströmungen der
letzten fünfzig Jahre und mit ihren Schöpfern. Zugegeben, über
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