Clark Mary Higgins
Ausland. »Sicher, wir sollten hier herstellen,
aber wir können für ein Drittel des Preises in Korea oder Hongkong arbeiten lassen. Wenn wir nicht einen Teil im Ausland
produzieren, werden wir einfach zu teuer. Aber wenn wir das
tun, sind wir Feinde der Gewerkschaft.« Was Myles mit der
Bemerkung quittierte: »Meiner Meinung nach haben wir keine
blasse Ahnung, wieviel Mafia-Geld in dieser Industrie steckt.«
Unvermeidlich kamen sie auf Nicky Sepettis Tod zu sprechen.
»Es ist ihm zu leicht gemacht worden, so im Bett sterben zu
können«, sagte Sal. Sein Gesicht hatte den jovialen Ausdruck
verloren. »Nach dem, was er deinem süßen Kind angetan hat.«
Neeve sah, wie Myles die Lippen zusammenpreßte. Vor langer Zeit hatte Sal einmal gehört, daß Myles Renata scherzhaft
»mein süßes Kind« nannte, und zu Myles’ Mißfallen hatte er
den Ausdruck übernommen. »Wie geht’s denn meinem süßen
Kind?« begrüßte er Renata. Neeve erinnerte sich noch gut, wie
Sal am Abend der Totenwache tränenüberströmt an Renatas
Sarg gekniet hatte, dann aufgestanden war, Myles umarmt und
zu ihm gesagt hatte: »Versuch dir vorzustellen, daß dein süßes
Kind nur schläft.«
Tonlos hatte Myles geantwortet: »Sie schläft nicht. Sie ist tot.
Und nenne sie bitte nie wieder so, Sal. Das war mein Name für
sie.«
Bis jetzt hatte Sal sich daran gehalten. Einen Augenblick trat
peinliches Schweigen ein, dann stürzte Sal den Rest seines Martini hinunter und stand auf. »Bin gleich wieder da«, sagte er mit
breitem Lächeln und ging über den Korridor zur Gästetoilette.
Devin seufzte. »Er mag ein genialer Modeschöpfer sein, nur
sehr zartfühlend ist er nicht.«
»Er hat mir aber den Start ermöglicht«, rief Neeve ihnen in
Erinnerung. »Ohne Sal wäre ich heute vermutlich Assistentin
eines Einkäufers bei Bloomingdale.«
Sie sah Myles’ Blick und warnte ihn: »Sag bloß nicht, daß ich
dann besser dran wäre.«
»Das ist mir noch nie in den Sinn gekommen.«
Als sie das Essen auftrug, zündete Neeve die Kerzen an und
dämpfte das Licht des Deckenleuchters. Sanfte Schatten breiteten sich im Raum aus. Jeder Gang erntete allgemeines Lob. Myles und der Bischof nahmen sich von allem zweimal, Sal sogar
dreimal. »Der Teufel hole die Diät!« sagte er. »Dies ist die beste
Küche in ganz Manhattan.«
Beim Dessert kehrte das Gespräch unweigerlich zu Renata zurück. »Dies ist eines ihrer Rezepte«, teilte Neeve ihnen mit,
»speziell für euch zwei zubereitet. Ich habe erst jetzt begonnen,
mich richtig mit ihren Kochbüchern zu beschäftigen. Es macht
Spaß.«
Myles berichtete ihnen, daß er möglicherweise die Leitung
der Drogenfahndungsstelle in Washington übernehmen werde.
»Es könnte sein, daß ich dir dort unten Gesellschaft leiste«,
sagte Devin lächelnd und fügte dann hinzu: »Es ist noch streng
vertraulich.«
Sal ließ es sich nicht nehmen, Neeve beim Abtragen zu helfen, und er bot sich auch an, den Espresso zu machen. Während
er sich an der Espressokanne zu schaffen machte, nahm Neeve
die hübschen goldgrünen Mokkatassen aus dem Büffet, die seit
mehreren Generationen in der Familie Rossetti waren.
Ein dumpfer Schlag und ein Schmerzensschrei ließen sie in
die Küche stürzen. Die Kanne mit dem Espresso war umgefallen, hatte den ganzen Küchentisch überschwemmt und Renatas
Kochbuch durchnäßt. Sal hielt seine feuerrote Hand unter das
fließende kalte Wasser. Sein Gesicht war aschfahl. »Der Griff an
der verdammten Kanne ist abgebrochen.« Er versuchte, unbekümmert zu wirken. »Myles, ich glaube, du willst dich jetzt dafür rächen, daß ich dir als Kind den Arm gebrochen habe.«
Ganz offensichtlich war die Verbrennung schlimm und
schmerzhaft.
Neeve holte eilig die Eukalyptusblätter, die Myles für Brandwunden immer im Haus hatte. Vorsichtig tupfte sie Sals Hand
trocken und bedeckte sie mit den Blättern. Dann umwickelte sie
sie mit einer Leinenserviette. Der Bischof stellte die Espressokanne wieder auf und fing an, die Nässe zu beseitigen. Myles
war dabei, das Kochbuch zu trocknen. Neeve sah den Ausdruck
in seinen Augen, als er Renatas Zeichnungen betrachtete, die
jetzt ganz durchweicht und fleckig waren.
Sal bemerkte es ebenfalls. Er zog seine Hand von Neeve zurück. »Mein Gott, Myles, es tut mir schrecklich leid.«
Myles hielt das Buch über das Spülbecken, ließ den Kaffee
abtropfen und legte es dann, in ein Handtuch eingewickelt, oben
auf den Eisschrank. »Was, zum Teufel, muß
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