Claudius Bombarnac
Augen bekommen, als ich ihn verließ. Er löscht die Lampe aus, zieht das bewegliche Thürfeld wieder hinauf, doch aus dem Kasten heraus höre ich noch ein »herzlichen Dank« und »auf Wiedersehen«.
Ich gehe aus dem Packwagen, schließe dessen Thür und überzeuge mich, daß Popof noch immer schlummert. Nachdem ich dann noch einige Minuten die frische Nachtluft eingeathmet, nehme ich meinen Platz neben dem Major Noltitz wieder ein.
Doch ehe ich die Augen schließe, ist mein letzter Gedanke, daß – Dank der Einführung der episodischen Persönlichkeit Kinkos in meinen Bericht – meinen geehrten Lesern die Reise ihres Reporters doch nicht ganz mißfallen werde.
Vierzehntes Capitel.
Hatten die Russen 1870 vergeblich versucht, in Taschkend eine Messe einzurichten, die mit der von Nischni-Novgorod wetteifern könnte, so sollte das zwanzig Jahre später von besserm Erfolge begleitet sein. Heutzutage ist, Dank der Errichtung der Transcaspischen Bahn, die Samarkand mit Taschkend verbindet, dieser große Markt zur Thatsache geworden.
Doch nicht allein die Kaufleute mit ihren Waaren strömen in Menge nach dieser Stadt zusammen, sondern auch die Pilger mit ihrem ganzen Hab und Gut. Und welche Wallfahrt – was sag’ ich? – welche Völkerwanderung muß es erst geben, wenn die gläubigen Mohammedaner mit der Eisenbahn nach ihrem heiligen Mekka ziehen können!
Inzwischen sind wir in Taschkend, und der Fahrplan meldet nur zweieinhalb Stunden Aufenthalt.
Da fehlt es mir freilich an Zeit, die Stadt zu besuchen, die auch kaum der Mühe lohnen soll. Die Städte von Turkestan gleichen sich überhaupt nach vielen Seiten, und wer eine gesehen hat, hat auch die andre gesehen, wenigstens wenn man sich nicht auf Einzelheiten einlassen kann.
In den Straßen von Taschkend. (S. 146.)
Nachdem wir durch eine fruchtbare Landschaft gekommen waren, in der sich die schlanken Spindeln alter Pappeln wiegten, und nachdem wir an großen mit Weinreben bepflanzten Feldern, oder an Gärten mit ungeheuer vielen Obstbäumen vorübergefahren sind, steht unser Zug in der Nähe der neuen Stadt still.
Seit der russischen Eroberung trifft man hier überall – – ich sage dem Leser wohl keineswegs etwas Neues damit – zwei nebeneinander gelegene Städte, in Taschkend wie in Samarkand, in Bukhara wie in Merv. Hier hat die alte Stadt vielfach gewundene Straßen, Häuser aus Thon oder Lehm, sehr mittelmäßige Bazare, Karavanseralen aus an der Sonne getrockneten Backsteinen, einige Moscheen und so zahlreiche Schulen, als ob der Czar sie durch einen Ukas ins Leben gerufen hätte, ähnlich wie solche in letzter Zeit in Frankreich entstanden sind. Hier fehlt es in der That an Schülern, nicht an Schulen.
Auch die Bevölkerung von Taschkend unterscheidet sich nicht wesentlich von der, die wir in andern Theilen Turkestans angetroffen haben. Sie besteht aus Sarthen, Usbeken, Tadjiks, Kirghisen, Nogaïs, Israeliten, einigen Afghanen und Hindus – daneben natürlich aus einigen Russen, die hier wie zu Hause sind.
In Taschkend giebt es vielleicht verhältnißmäßig die meisten Juden. Seit dem Tage übrigens, wo diese Stadt unter russische Verwaltung kam, hat sich deren Lage gründlich geändert. Von dieser Zeit an datirt erst die bürgerliche und politische Freiheit, die sie jetzt genießen.
Ich kann dem Besuche der Stadt nur zwei Stunden widmen und das hab’ ich als eifriger Reporter denn auch gethan. Wenigstens flüchtig hab’ ich mir den großen Bazar – der freilich nur aus Planken gezimmert ist – angesehen und auch hier die ungeheure Menge der Erzeugnisse des Orients, Seidengewebe, Metallgefäße, viele verschiedene Proben chinesischen Gewerbfleißes, darunter vorzügliche Porzellanwaaren, aufgestapelt gefunden.
In den Straßen von Turkestan begegnet man auch einer Anzahl von Frauen. Natürlich giebt es im Lande keine Sclaverei mehr – zum großen Leidwesen der Muselmanen. Jetzt ist die Frau frei – selbst in der Ehe.
»Ja, erzählt mir Major Noltitz, darüber hat sich einmal ein alter Turkmene in folgender Klage geäußert:
Mit der ehemännlichen Gewalt ist es vorbei, seitdem man seine Frau nicht mehr schlagen kann, ohne daß sie einem mit dem Czaren droht! Das ist der Untergang der Ehe!«
Ich weiß nicht, ob das schöne Geschlecht noch immer geschlagen wird, jedenfalls weiß aber einer der Gatten, wessen er sich aussetzt, wenn er den andern mißhandelt. Diese sonderbaren Osmanen wollen in dem Verbote, ihre Frauen zu schlagen,
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