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Claustria (German Edition)

Claustria (German Edition)

Titel: Claustria (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Régis Jauffret
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drücken, damit er die Polizei rufen kann.
    Nach seinem Heiterkeitsausbruch dachte Fritzl nach.
    ,,Du musst ihm Bäder machen.“
    Von dieser Behandlungsmethode hatte er in seiner Kindheit gehört.
    ,,Bäder?“
    ,,Im warmen Wasser wird es ihm besser gehen.“
    Angelika legte das Kind aufs Bett. Sie zog das Handtuch und die Lappen weg, die als Windeln dienten. Fritzl ging voraus. Sie standen vor der Badewanne. Sie drehte die Wasserhähne auf.
    ,,Nein, du verbrauchst ja das ganze Warmwasser. Außerdem ersäuft er da drin.“
    Er füllte das Waschbecken. Sie legte das Kind hinein. Es bewegte Beine, Zehen, Finger und zog eine Grimasse. Angelika voller Hoffnung.
    ,,Er lächelt.“
    ,,Er ist nicht richtig krank, nur ein wenig benommen nach all der Zeit in deinem Bauch, in der er gar nichts gemacht hat.“
    Als wäre das Leben eine Arbeit, die mit dem Keim der Existenz beginnt und mit dem Tod abgebrochen wird.
    ,,Als wollte er uns etwas sagen.“
    ,,Er weiß schon, was er will.“
    Ein wenig Vaterstolz in Fritzls Blick. Angelika ist hocherfreut.
    ,,Er plappert!“
    ,,Er brabbelt in seinen Bart. Wie ein Greis.“
    ,,Er singt.“
    Eine lautere Klage, ein kleiner Schmerzensschrei. Sein Gesicht ist knallrot, seine Lippen sind blau. Angelika massiert ihm den Bauch, Hände und Füße. Die Lider sind kaum offen. Er schließt sie.
    ,,Schau ihn dir an – er will wohl ein Nickerchen machen.“
    ,,Ich bin sicher, es wird ein ruhiges Kind sein.“
    ,,Deine Mutter hat sich aber beschwert, dass er den ganzen Tag gebrüllt hat.“
    ,,Das war er nicht.“
    ,,Dann behältst du den, und ich nehme den anderen mit hinauf.“
    Ein Schleier der Trauer auf Angelikas Gesicht. Plötzlich wirkt sie fahl im Neonlicht des Spiegels.
    ,,Hol ihn jetzt raus und trockne ihn gut ab.“
    Sie gehorcht. Legt ihn auf den Tisch. Mit einem Waschlappen reibt sie ihn ab.
    ,,Das Blut muss zirkulieren.“
    Das Kind reißt Augen und Mund auf und wimmert.
    ,,Gib ihm die Brust, wenn er wieder bei Kräften ist. Ein Bad regt den Appetit an.“
    Angelika lächelt. Beruhigende Worte aus dem Mund des Vaters, der zum Arzt geworden ist. Um die Hoffnung zu wahren, hält sie dieses Orakel für unfehlbar.
    ,,Jetzt fängt der andere auch an zu jammern.“
    Sie trägt das Kind zum Bett, legt es ab, nimmt seinen Bruder auf den Arm, einen kräftigen Jungen, der für beide Zwillinge an der Brust saugt.
    Fritzl hat die Tür schon hinter sich zugeschlagen.
    Die Kinder sind in der Küche, stehen vor ihren Tellern. Anneliese macht sich am Herd zu schaffen. Fritzl setzt sich, die Kinder auch. Anneliese bringt eine Schüssel Suppe, auf der Lauchstücke schwimmen, während die Reste des Rinderbratens von gestern auf dem Grund liegen wie Ertrunkene.
    Fritzl sagt kein Wort. Trotz aller Mühen bekommt er das Bild des Kellers nicht aus dem Kopf. Keiner wagt es, das Schweigen zu brechen. Während des ganzen Essens macht der dicke Küchenwecker auf dem Kühlschrank mehr Lärm als die Münder und das Klappern des Bestecks.

Drei Uhr in der Nacht. Beständiger Lärm, regelmäßiges Scheppern eines Rohrs. In langsamem Takt und trotz des hohen Tons hörte es sich an wie eine Totenglocke, ein Läuten für die Toten, das durch die angelehnte Toilettentür drang. Genauso anhaltend wie das schrille Tönen der Sirenen in den Straßen von Amstetten, die vor einem bevorstehenden Luftangriff gewarnt hatten.
    In jener Nacht schnarchte das Ehepaar Fritzl synchron. Es überdeckte die Geräusche, aber die Schlafenden nahmen es im Schlaf wahr, wenn sie Luft holten.
    Anneliese schlägt als Erste ein Auge auf. Sie wagt es, sich aufzusetzen und zu horchen. Sie beschließt, dass sie nichts hört, und hört dann auch nichts mehr.
    Lautlos wie eine Katze schlüpft Fritzl aus dem Bett. Im Dunkeln zieht er sich an, schleicht auf den Gang. Anneliese ist schon wieder eingeschlafen, als er leise die Kellertür öffnet. Auf Zehenspitzen hastet er durchs Labyrinth. Als er gebückt durch die Luken geht, wirkt er agiler als sonst.
    Angelika erwartete ihn mit dem Baby auf dem Arm in der Speisekammer stehend.
    ,,Du hast das ganze Haus aufgeweckt!“
    Er hat die Hand erhoben, kurz vor dem Schlag. Aber Angelika ist eine Statue. Aus Angst, sich die Knochen an der Bronze zu brechen, sinkt seine Hand wieder schlaff herab. Angelikas Mund öffnet sich leicht.
    ,,Er ist wohl gestorben.“
    ,,Du Trottel!“
    Er entreißt ihr das Kind, berührt dessen Stirn. Sie ist kalt.
    ,,Er hat nicht mal mehr Fieber.“
    ,,Er bewegt die Lider nicht

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