Claw Trilogy 01 - Fenrir
ich sie nicht verrate.«
Ein Rabe hüpfte zum Gesicht des Mönchs hinauf und pickte nach dem Auge. Hugin hielt die Hand des Mönchs und stimmte wieder den Singsang an.
»Odin, Herr, nimm diese Qualen für deine Qualen.
Neun lange Nächte im windigen Baum,
Odin, Herr, der du dein Auge für die Weisheit gabst,
Führe uns zu unseren Feinden.«
»Aelis! Aelis!«, kreischte der Mönch. »Komm zu mir, komm zu mir. Ich habe dich so lange gesucht. Aelis. Adisla, geh nicht weg, es wird mein Tod sein.«
Adisla? Wer soll das sein? , dachte Aelis. Es klang wie ein nordischer Name, und doch kam er ihr seltsam bekannt vor. Sie wollte dem Beichtvater unbedingt helfen und regte sich, doch Leshii hielt sie zurück. Sein fester Glaube, dass diese Magie nicht wirken würde, war der ebenso sicheren Überzeugung gewichen, dass sie sehr wohl wirkte. Nur noch wenige Augenblicke, und der Mönch würde die Edelfrau verraten.
Die Vögel segelten von den Bäumen herab wie die Blätter im dunklen Herbst, verschandelten den Leib des Beichtvaters, kreischten und krächzten.
Leshii hatte sich entschieden. Die Seide war ihm egal, die Maultiere waren unwichtig. Sein Leben und die Belohnung für das, was er für die Edelfrau bekam, mehr brauchte er nicht.
»Komm jetzt«, sagte er. »Wir gehen.«
Er konnte sie nicht erreichen, sie blieb wie angewurzelt stehen und starrte zitternd den Beichtvater an.
Die schreckliche Frau sang wieder und untermalte Hugins Litanei.
Schließlich stieß der Mönch einen Schrei aus, der ganz anders klang. Der Laut sprach von Qualen, ein schriller Ton in der Musik der Hölle. Verwirrung herrschte, Rufe waren zu hören. Der Rabe sprang auf und verscheuchte die Vögel vom Körper des Mönchs. Er hackte das Seil mit dem Messer durch, und der Beichtvater brach zusammen wie ein nasser Sack. Aelis konnte nicht anders, sie rannte zu ihm, schob sich an den Berserkern vorbei, stürmte an Hugin vorbei, der sich die Hände vors Gesicht geschlagen und sich vom Beichtvater abgewandt hatte.
Leshii eilte Aelis hinterdrein und bückte sich, um das weinende Mädchen zu beruhigen. »Vergiss nicht«, flüsterte er, »du bist stumm, du kannst nicht sprechen. Sage kein Wort, sonst erleidest du die gleichen Qualen wie dieser Mann.«
Er hatte sich bemüht, den Mönch nicht anzusehen, doch als er Aelis fortzog, konnte er es nicht mehr vermeiden. Die Zunge des Beichtvaters hing schlaff aus dem Mund. Leshii dachte an ein Stück Leber, glatt und glänzend vor Blut, an einer Seite zerfetzt. Der Händler konnte nur staunen, wie ein Mensch fähig war, das zu tun, was der Beichtvater auf sich genommen hatte. Jehan würde ihnen keine Prophezeiung schenken, so sehr sie ihn auch verzauberten und quälten. Er hatte das Einzige getan, was in seiner Macht stand, um den Folterknechten zu trotzen und sich daran zu hindern, Aelis zu verraten. Er hatte den Mund geöffnet, damit die Raben ihm die Zunge herausreißen konnten.
13
Der Lohn der Ehre
S chweigen senkte sich über die Lichtung, als der Rabe den Mönch befreite.
Ofaeti gesellte sich zu ihnen und betrachtete den Sklaven des Händlers, der den Beichtvater in den Armen wiegte. »Anscheinend seid ihr Anhänger des gleichen Glaubens. Nun, wenn er so ist wie die anderen Männer, dann können wir einpacken und nach Hause gehen. Dieser Mann ist aus Eisen, das muss ich ihm lassen. Was, Rabe? Er hat dich bezwungen, nicht wahr? Verkrüppelt, gefesselt, festgebunden und verzaubert, aber er hat dich in deinem eigenen Spiel besiegt.« Aelis verstand kein Wort, fing aber die dahinter stehende Haltung des Sprechers auf.
Sie blickte auf den Mönch hinab. Sein Blut war schwarz verkrustet und glänzte im Mondlicht, ein Auge war verletzt und angeschwollen. Der Vogel hatte buchstäblich das Augenlid abgerissen, der Augapfel selbst war unversehrt. Das Gesicht und die Ohren waren voller Verletzungen, an einer Stelle schimmerte der weiße Wangenknochen durch, hinter einem Loch in der Wange war ein Zahn zu erkennen. Sie nahm die Überreste der schrecklichen Hand von seinem Hals und warf sie weg. Niemand hinderte sie daran.
»Davon wird er sich nicht erholen«, meinte Leshii. »Die Wunden bringen ihn nicht um, aber sie werden sich entzünden. So etwas habe ich schon einmal gesehen.«
»Was wiegen eigentlich gute Knochen?«, schaltete sich Saerda ein. Er lachte humorlos und versetzte dem Mönch einen Tritt in die Seite.
Aelis war im Nu aufgesprungen. Ohne groß nachzudenken, versetzte sie Saerda einen Stoß
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