Claw Trilogy 01 - Fenrir
ob lebendig oder tot, konnte er schwerlich ein Lösegeld verlangen, wenn er niemanden hatte, der ihn beschützte.
Aber nein, er hatte nicht richtig nachgedacht.
Leshii ordnete seine Gedanken. Er war Siegfrieds Gefangener gewesen. Sobald der Leichnam des Königs entdeckt war, würde es in der Gegend vor Wikingern wimmeln, und Leshii wäre einer der Hauptverdächtigen. Es war zu gefährlich, einfach in das Wikingerlager zurückzukehren. Also musste er sich mit nichts als dem Mantel, den er trug, und seiner Gewitztheit nach Ladoga absetzen.
In den Bäumen regte sich etwas. Trabende Pferde, die ängstlich wieherten.
Was stimmte nicht mit den Tieren? Diesen Laut hatte er vor Kurzem erst gehört, als ein Wikingerpferd eine Wurfaxt in den Hals bekommen hatte. Die Tiere hatten Todesangst.
Er sah sich zwischen den Bäumen um.
Dort bewegte sich etwas. Ja, es war das große Pferd des Königs. Ein Pferd konnte ihm die Reise sehr erleichtern, sofern er es zu sich locken konnte. Leider hatte es eine Art Anfall, es stampfte, schwitzte und schäumte und blickte zu der Stelle, wo der Rabe kauerte. Ja, es war unverkennbar Siegfrieds Pferd, auf dem Aelis geritten war. Etwas entfernt zwischen den Bäumen hörte er einen weiteren Ruf, ein Blöken. Sein Maultier! Das konnte er sich auf jeden Fall holen. Wenn Leshii sich überhaupt mit irgendetwas auskannte, dann mit Maultieren, nachdem er dreißig Jahre lang die Handelswege bereist hatte. Er war zuversichtlich, dass er es einfangen und zu sich rufen konnte, und näherte sich ihm bis auf zwanzig Schritte. Er pfiff leise und konnte sehen, dass das Tier Angst hatte, aber keinesfalls in so übler Verfassung war wie das Pferd. »Komm her, Mädchen, komm her.«
Das Maultier wich ein paar Schritte zurück.
Links von Leshii rannte etwas zwischen den Bäumen hindurch. Es gab einen lauten Schrei, ein weiterer Ruf antwortete. Wider Willen lief er, um nach dem Rechten zu sehen. Der Wolf!
23
Wolfsblut
D er Tod kam nicht zu Aelis, aber dafür etwas Ähnliches. Die Schatten entfalteten sich, streckten sich und warfen den Raben zu Boden, ehe er zuschlagen konnte.
Hugin war fast so schnell wieder auf den Beinen, wie er gefallen war, und hackte mit schrecklicher Gewandtheit mit dem Messer um sich. Als die beiden Gestalten in der hellen Morgensonne miteinander rangen, dachte Aelis zuerst, es sei ein Wolf. Der Angreifer klang jedenfalls wie ein Wolf und war sehr schnell, doch dann stieß ein Arm vor, um das Messer abzublocken, und sie erkannte, dass es ein Mann war. Genauer gesagt, war es der Mann, der in der Kirche zu ihr gekommen war.
»Lauf weg, lauf!«, kreischte er. »Er wird mich bald töten, und dann verfolgt er dich weiter. Lauf!«
Sie wollte aufstehen, doch die eiskalten Beine gehorchten ihr nicht. Halb kam sie hoch, dann stürzte sie wie ein Betrunkener und tastete mit tauber Hand nach einem Baum. Sie knickte ein und schlug mit dem Kopf auf den Boden. Abermals versuchte sie es, doch sie spürte nicht einmal mehr die Gliedmaßen, ganz zu schweigen davon, sie zu bewegen.
»Lauf weg, lauf!«
Aelis hörte einen Laut im Kopf – das Rauschen eines mächtigen Stroms, den Zug des Windes in der Mündung einer Höhle, das Aufwallen des Bluts in den Ohren. Es war nichts von alledem.
Der Rabe hatte die Oberhand gewonnen, hielt das Messer mit beiden Händen und versuchte, dem Wolfsmann die Klinge in den Hals zu jagen. Der Unterlegene fing sie ab, das Blut schimmerte hell auf seinen Fingern. Hugin stieß einen heiseren Schrei aus und drückte das Messer weiter nach unten, doch nun riss es der Wolfsmann zur Seite und nutzte den Abwärtsschwung des Raben, um ihm den Kopf gegen die Nase zu stoßen. Dann war er über ihm, kreischte und biss, schlug und zerrte. Der Hexer wollte nach dem Schwert greifen, doch der Wolfsmann hielt ihm den Arm fest. Die Kämpfenden kamen wieder hoch, hielten einander umklammert und taumelten zwischen den Bäumen hin und her. Sie stürzten, lösten sich voneinander und standen auf. Der Wolfsmann ließ Hugin nie weit genug zurückweichen, um das Schwert zu ziehen. Andererseits brauchte der Rabe keine Waffe. Blitzschnell riss er das Knie hoch und rammte es dem Wolfsmann in den Bauch, dass dieser ein Stück durch die Luft flog und wie ein nasser Sack zu Boden ging.
Unterdessen hatte Aelis das Gefühl, ihr Verstand sei gespalten. Das Geräusch war in ihr und außerhalb, es drang aus der pulsierenden, atmenden, rennenden Rune hervor. Was war das bloß?
Jetzt griff der Rabe
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