Claw Trilogy 01 - Fenrir
führe die Edelfrau zu Helgi.«
»Ich gehe zu meinem eigenen Volk«, widersprach Aelis.
»Nein. Dir bleibt nicht mehr viel Zeit. Der Wolf erscheint in Fleisch und Blut, wie es vorhergesagt ist. Du musst zu Helgi, nur er kann dich vor dem retten, was dich verfolgt.«
»Was verfolgt mich denn?«
»Tod, Vernichtung, immer und immer wieder in vielen Lebensspannen.«
Er schob die Edelfrau auf das Pferd, Leshii stieg hinter ihr auf.
Aelis blickte auf den Wolfsmann hinab und stammelte. »W-warum tust du das?«
»Aus Liebe«, erklärte er. »Ich finde dich. Aelis, Adisla, ich finde dich. Geh jetzt.«
Ein Schatten zog durch das Licht. Der Wolfsmann trat vor und fing ihn aus der Luft. Es war ein Speer.
»Geh. Sie sind nahe.«
Er klatschte die flache Hand auf den Rumpf des Tieres, das mit der Edelfrau auf dem Rücken vor den Nordmännern floh.
24
In Ladoga
P aris war völlig unversehrt, Siegfried lebte noch, und der Beichtvater war ein verlorenes Kind, das durch den großen Wald am Rhein irrte, als Helgi bis zum Dach seines Ladeturms hinaufstieg, um sein neues Land in Aldeigjuborg zu betrachten, das er inzwischen Ladoga nannte, um seinen Untertanen eine Freude zu bereiten. Abgesehen von der Inbesitznahme der Stadt hatte er noch etwas anderes zu feiern – die Geburt einer Tochter.
Der Wikingerkönig ließ den Blick, der an diesem klaren Tag weit reichte, über Land und Wasser schweifen. Der Fluss strömte in den blau schimmernden Ladogasee, in der Ferne waren gerade noch die Inseln als grüne Flecken zu erkennen. Wie die Sterne um den Mond lagen ringsherum die türkisfarbenen Flächen anderer Seen. Es waren viel zu viele, um sie zu zählen. Er blickte zu den gewundenen Wasserläufen, die sie miteinander verbanden – einige dünn wie Fäden, andere stark wie blaue Wurzeln. Alle gingen von dem schimmernden Herrn der Seen aus, erstreckten sich gen Osten in Richtung Miklagard und in die Steppe, gen Westen zum Ostmeer und nach Norden in Richtung Heimat.
Seine Getreuen, die Nordmänner, waren die Herren der Gewässer und die Könige der Schiffe. Kein Wunder, dass die einheimischen Slawen und Finnen ihn gebeten hatten, über sie zu herrschen. Er war überrascht gewesen, als er die Botschafter empfangen und die Bitte vernommen hatte, ihr König zu werden, doch nach einigem Nachdenken empfand er es inzwischen als gerechte Belohnung. Wer hatte mehr Kriege geführt als er? Wer hatte so viele gefallene Krieger in die Hallen des Allvaters gesandt, dass dessen Heere sich von Horizont zu Horizont erstreckten? Wer hatte Sklaven und Vieh zum Blöt im Sommer und zum Winterfest geopfert? Helgi. Odin war sein Gott, der Gott der Könige, und er hatte ihn großmütig belohnt.
Jahre vorher waren die Krieger seines Volks als Eroberer gekommen, hatten eine Weile geherrscht und waren zurückgeschlagen worden. Doch das darauf folgende Chaos war so schlimm und die Erinnerung an ihre freundliche und großzügige Herrschaft so angenehm gewesen, dass ihn keine zwanzig Jahre später eine Abordnung der Stämme, die zu schwach waren, einen eigenen Herrscher zu benennen, eingeladen hatte, ihr Land zu regieren.
Es war schön, der König – khagan – eines so fruchtbaren Landes zu sein. Helgi stieg die Treppen des Turms hinunter, um an dem Fest teilzunehmen, das unten stattfand. Die Slawen trugen komische Kostüme, aber sie mochten den Blöt, die Feier und das Festmahl, ebenso wie jeder Mann im Norden. Helgi wanderte durch die Straßen, seine Leibwächter folgten ihm. Eine Weile blieb er stehen und betrachtete die nackten, angemalten Sklaven, die geopfert worden waren und unter dem weiten blauen Himmel an den Galgen pendelten. Diesen Beweis seiner Macht und seines Reichtums fand er sehr erfreulich. In den Geruch des Urins und Kots, welche die Opfer beim Ersticken hatten fallen lassen, mischten sich der Weihrauch vom Tempel, die Ausdünstungen der Tiere, das Parfüm der Girlanden, die die jungen Mädchen trugen, der Geruch der Kräuter in dem Bier, das er aus einem Horn trank. Die Vielzahl der Sinneseindrücke war beinahe berauschend.
Der Sommer im Land der Rus war wunderschön. Man konnte fast die Wärme riechen, obwohl vom Fluss her ein frischer Wind wehte, der selbst die Mittagshitze erträglich machte. Es war ein reiches Land: Weizen auf den Feldern, die Netze der Fischer auf dem See waren prall gefüllt vom üppigen Fang, es gab reichlich Pelze und Honig und schöne Wälder, in denen man jagen und Brennholz schlagen konnte.
Neun tote
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