Clemens Gleich
Ganzen, das beide erkannten. Unwillig, langsam, zögerlich entfernte Pi das Messer vom schrumpeligen Hals.
"Ich kenne einen Kobla", sagte Pi. "Naja: zumindest vom Namen. Also, mein Freund Kobla: Was machst du hier? Kurze Antworten, bitte, wir sind auf der Jagd."
"Ich bin auf dem Weg zum Tor."
"Was für ein wunderbarer Zufall!", kreischte Pi. "Wir auch!"
"Hör zu, kleine Missgeburt", sagte der alte Mann. "Hinter diesem Tor warten nicht nur deine Opfer, sondern sehr bald auch die gesamte Kavallerie unserer Gegner. Wir beeilen uns besser."
"Ich würde sofort zustimmen", fing Pi mit derselben kreischenden Freude wie vorher an, um dann nüchtern, fast drohend leise zu sagen: "...wäre da nicht diese nagende Wut darüber, dass du uns diese Info nicht gegeben hast!" Er schrie jetzt. "Wir hätten das alles längst beenden können!" Der alte Mann hob kaum merklich seinen Stab. Eine unsichtbare Hand schmetterte Pi daraufhin mit einer Wucht zu Boden, die in selbigen einen kleinen Krater prägte.
"Respekt, Kleiner, Respekt", sagte er kopfschüttelnd. "Wir spielen kleine, bescheidene Rollen, die vielleicht an den für uns vorgesehenen Schlüsselpunkten einen großen, wichtigen Unterschied auf dem Spielfeld machen. Ich kenne das Tor, weil ich es – vielleicht als einziger – schon des öfteren benutzt habe, um unsere Beziehungen zu den Völkern hinter der Bergkettengrenze zu pflegen, zu den Waraii."
"Respekt muss man sich verdienen", ächzte Pi. Er drückte sich gegen die unsichtbare Kraft hoch.
"Das stimmt." Kobla ließ Pi los. "Es wird später eine lange, lange Zeit geben, in der ich mir deinen Respekt verdienen kann, und es wird mir eine Freude und dir eine Qual sein. Aber um es hinter uns zu bringen: Ich hatte keine Ahnung, dass ihr auf dieser Seite unterwegs seid, dass ihr dieses Tor benutzen könntet. Genauso könnte ich jammern, dass du mir diese Info nicht gegeben hast." Dann klatschte er in die Hände. "Gut! Können wir?" Pi stand auf, als wäre nichts gewesen.
"Nein", sagte er.
"Du machst mich fertig, Kleiner..." Kobla hob den Stab. Ungerührt spazierte Pi an ihm vorbei, an den Drachen und hob Fidi aus dem Sattel:
"Du bleibst hier."
"Was?" Sie war schockiert. "Ich habe so viel mitgemacht, da kann ich das letzte Stück doch auch noch mit! Bitte, ich will jetzt auch das Ende sehen!" Pi griff sich an den Kopf, dann schüttelte er ihn, als wolle er etwas daraus vertreiben. Sein Blick wurde finster. Er packte Fidi und stieß sie weg, sodass sie mit einem leisen Schmerzstöhnen hinfiel.
"Hör zu, Schlampe:", fauchte er sie an, "Du bist hervorragend bezahlt worden, was bestimmt mal eine angenehme Ausnahme zum üblichen Tagesablauf ist, in dem jeder dich bescheißt, also klapp einfach die Fressfalte zusammen und mach dich vom Acker, bevor ich dir den Arsch ohne Bezahlung aufpflüge!" Fidi war vom Donner gerührt. Sie verstand nichts. War das der Pi, der diese letzten Nächte wie ein Ehemann mit ihr gelebt hatte? Sie wollte etwas sagen, wollte es wirklich, doch als ihr Mund schon offenstand, fiel ihr einfach nichts ein, sodass sie ihre Kinnlade bewegte wie ein glotzender Goldfisch. Pi drehte sich von ihr weg, drehte sich um zu diesem Kobla, der immer noch mit erhobenem Stab dastand, als wäre er ein schrumpeliger Messias.
"Ich hoffe, du kannst auf einem Drachen reiten, alter Mann", sagte er.
"Drachen! Das ist doch kein Drachen! Auf einem dieser modernen Dinger könnte ich noch in hundert Jahren reiten."
"Als Kiste voll Erde, ja." Pi trat an ihn heran. "Komm, ich helfe dir hoch."
"Eine Geste des Respekts! Es besteht Hoffnung für dich, Kleiner."
"Nicht mehr lange", murmelte Pi, wuchtete Kobla in den Sattel und sprang selbst auf. Er schnallte Fidis Tasche ab und warf sie in ihre grobe Richtung. Sie fing sie sowieso nicht, machte nichtmal einen Versuch, sie saß nur da. Beim Aufprall fielen ein Kamm, einige Holzperlen, Goldstücke, ihre Kleinigkeiten heraus. Fidi beachtete sie gar nicht. Mit einem Seufzer räumte Telemann behutsam den verstreuten Kram wieder ein. Dann lehnte er die Tasche an ihr Bein und sah sie an:
"Du solltest jetzt wirklich besser gehen. Pi ist ein chaotisches, instabiles Experiment. Es ist schon erstaunlich genug, dass er überhaupt so lange nett sein konnte, ja, dass er so lange leben konnte." Keine Antwort. Er berührte ihren Arm. "Wenn und falls ich zurückkomme, kann ich vielleicht versuchen, alles zu erklären. Aber jetzt: geh. Bitte." Sein drängender Tonfall riss sie endlich aus ihrer
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