Clemens Gleich
Milos Zeichnung.
"Und wer sind Sie?", fragte die Dame Siebenring zurück. "Darf ich Ihnen etwa als Finderin Ihren gerechten Lohn geben?" Oder muss ich Sie als Dieb den hier zahlreich anwesenden Wachen übergeben?, hängte sie in Gedanken noch an.
"Ich... ich...", stammelte Jianna. Sie zitterte äußerlich, weil sie innerlich zusammenbrach. Die Tochter! Es war die Tochter! Es war ja doch zu schön gewesen, um wahr zu sein! Dieser Stich nach all den Entbehrungen, den Torturen der letzten Zeit brach ein Loch in den Staudamm der verdrückten Tränen: Die Schleusen ihrer Augen liefen über. Sie schluchzte herzergreifend. Diese Stimme des Ministeriums, dieser unmögliche Staatspolizist trat neben sie, aber das war ihr jetzt schon gleichgültig. Er rügte sie jedoch nicht. Er lächelte sogar.
"Diese junge Dame hat eine Menge für Ihren Pikmo getan, Frau Siebenring", sagte er. "Dennoch muss ich Ihnen gestehen, dass wir nach ihr gefahndet haben, eben wegen besagten Diebstahls." Jianna schluchzte noch mehr. "Allerdings stellte sich heraus, dass sie unschuldig ist. Nicht nur das, sie hat Ihren Felligen auch mehr als einmal vor der sicheren Zerstörung bewahrt. Wir schließen den Fall hier und heute ab. Jianna hier hat Ihren Finderlohn mehr als verdient, Sie haben das Wort des Ministeriums darauf."
"Das ist gut genug für mich", sagte Praneh nickend. "Ich bedanke mich für Ihre Bemühungen und entschuldige mich für die Unannehmlichkeiten, die wir Ihnen allen bereitet haben müssen."
"In Wahrheit sollte ich mich entschuldigen", murmelte Shardid, doch die Dame Siebenring beachtete ihn gar nicht mehr. In einer Geste der universellen Schwesterschaft zwischen allen Frauen umarmte sie Jianna, die aufheulte, als habe sie jemand verbrannt.
"Ich versteh-eh das nicht!", heulte sie. Armes Ding, dachte Praneh Siebenring. Sie hielt Jiannas roten, tränenfeuchten Kopf sanft, aber eigentümlich intim in beiden Händen. Schließlich begann sie in einem beruhigend mütterlichen Tonfall mit ein paar Erklärungen:
"Wenn man eine komplette Eigenanfertigung möchte, dauert die Konstruktion eines Felligen sehr lange, weil die Biolabors keine vorbereiteten Standardkörper verwenden können. Es dauert wirklich Jahre. Als wir Pikmo für meine Tochter bestellt haben, war sie 15. Ich habe ihn ihr damals zum Geburtstag geschenkt, zur Volljährigkeit, zur Bürgerprüfung." Praneh blickte auf ihre Tochter. Ihre Tochter blickte verlegen zu Boden, ließ Pikmo in einen unaufgeräumten Haufen ebendorthin sinken und ging einige Schritte fort, denn sie wollte an diese peinliche Geschichte nicht schon wieder detailliert erinnert werden.
"Jedenfalls", fuhr Praneh fort, "sind 15-jährige Mädchen noch etwas albern, Bürgerprüfung hin oder her. Sie glauben an Romantik, an wahre Liebe, sie wünschen sich die unmögliche Garantie der Treue und sie kichern über den körperlichen Teil einer Partnerschaft. Meine Tochter ist damals zusammen mit meinem Hausmädchen, ihrer besten Freundin, in die Biolabors gegangen und hat es dort geschafft, die Spezifikationen in den Traum eines, naja: kleinen Mädchens zu ändern. Sie hat es mir sehr spät erst gebeichtet. Leider sind kleine-Mädchen-Träume in der Realität schwer lebensfähig, und deshalb hat Pikmo wahrscheinlich einige seltsame Verhaltensweisen. Er wird damit leben müssen. Wir werden ihn jedenfalls leben lassen." Sie legte Jianna die Hand auf die Schulter. "Hilft das?"
Jianna nickte. Ihrer Stimme traute sie noch nicht, doch wenigstens die Tränen trockneten langsam.
"Was ist das?", fragte Elis, auf Pi deutend. Der saß formelgefesselt als Häufchen Elend im Schmutz. Fuzz hockte wie ein Affe neben ihm, weinte und streichelte seinen seltsamen Freund, der ihn überhaupt nicht beachtete. Er sah nur stumm zu Elis herüber. Trotz seiner Paralyse rannen plötzlich Tränen über sein Gesicht, das erste Mal in seinem verpfuschten Dasein.
"Du weinst ja!", weinte Fuzz. "Du kannst es ja doch! Wenn es nur schlimm genug ist, kann man auch weinen." Damit hängte er sich an Pi, der ihn weiterhin ignorierte.
"Was ist das?", wiederholte Elis. Shardid erschien neben ihr:
"Das ist ein Unfall", sagte er.
"Warum sieht er mich so traurig an?"
"Weil er dich liebt, aber nicht haben kann."
"Wieso liebt er mich?" Elis sah den imperialen Beamten erschrocken an. "Er kennt mich doch gar nicht."
"Jetzt schon."
"Das verstehe ich nicht."
"Er ist ein Klon von Pikmo, der eigentlich gar nicht hätte überleben dürfen."
"Oh...",
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