Clemens Gleich
trotzig.
"Ach?" Yens schaffte es, die Augenbrauen noch weiter nach oben zu hieven. Sie kollidierten schon fast mit seinem Haaransatz. "Dann hast du ja nichts dagegen, wenn ich mich hier mal etwas umsehe, nicht wahr?"
"Ich...", brachte Milo hervor, aber van Erster schritt schon streng inspizierend die Küchenschränke ab, als gehörten sie ihm.
"Spar dir die Mühe, dir eine Antwort auszudenken", winkte der Wächter ab. "Das war eine rein rhetorische Frage. Ich bin befugt, hier nach Hinweisen zu suchen." Genau das tat Yens van Erster dann auch, mit einer Akribie, die Milo vermuten ließ, dass er die ganze Sache persönlich nahm. Er stellte das Haus auf den Kopf, wobei er am Ende die Reste des gestrigen Abendessens, den leeren Wein samt Gläsern, die benutzen Betten und ein blaues Haar auf einen knappen Punkt zusammenfasste:
"Du hast Ärger." Milo versuchte, auf den Boden zu gucken, aber die Tischplatte war im Weg. Yens roch überbrückend an einem Glas, bevor er fortfuhr:
"Wenn ich einen unserer Mikrospurenexperten hier durchschicke, habe ich ein Beweisfundament gegen dich, massiver als das Randgebirge. Willst du mich weiterhin als Idiot verkaufen, oder können wir endlich reden wie erwachsene Menschen?"
"Ich wusste nicht, dass eine Fahndung läuft", brach es aus Milo heraus und damit seine schwache Verteidigung zusammen. "Jianna ist eine alte Freundin, ich hab sie schon länger nicht mehr gesehen und dachte, dass sie vielleicht Probleme mit der Familie hat!"
"Warum lügst du mich dann die ganze Zeit an?", schrie van Erster.
"Weil ich völlig eingeschüchtert bin vielleicht?!"
"Na wenigstens das. Und jetzt raus damit: Wo sind sie hin?"
"Das weiß ich doch nicht! Ich hab sie nicht gefragt! Sie hat das Fahrrad genommen!" Yens sah ihn an wie einen gefährlich Geisteskranken. Nichtsdestoweniger glaubte er diesem Weinwasser tatsächlich, dass er nichts von einer Fahndung wusste, die selbst er erst seit kürzester Zeit kannte. Und wer würde schon jemand wie dem ein Fluchtziel verraten? Trotz dieser Erkenntnis konnte es Yens van Erster nicht lassen, seinem Fang noch ein Mal mit ominöser Vieldeutigkeit zu drohen:
"Du hast keine Ahnung, wie ernst das Ministerium diese Sache nimmt. Vielleicht sieht das für dich alles nach ein paar frischen Schneeflocken auf einen bereits tief schneebedeckten Hang aus." Dramatische Pause. "Aber es könnten genau die Flocken sein, die die Lawine auslösen."
Jianna stoppte das ihr immer schwerer gewordene Fahrrad, als der staubige, unbefestigte Weg über eine Anhöhe führte. Ein großer Walnussbaum spendete Schatten vor der kräftigen Nachmittagssonne. Sie war völlig verschwitzt, ihre Haare sahen aus wie nach einer mittleren elektromagnetischen Explosion und ihre Laune war durch Durst, Hitze, Insekten, Dreck und Zweifel ebenfalls ziemlich explosiv. Wütend warf sie das Rad ins blätterübersähte Gras am Wegesrand.
"Maann!! Ist das aus massivem Stahl? Kein Wunder, dass Milo diesen Drecksdrahtesel nie fährt! Aber ihn mir geben!" Jianna schrie den Baum oder das Fahrrad oder die Welt an, so genau wusste sie das nichtmal selber. Es musste jetzt eben geschrien werden. Pikmo trat neben sie. Er sah auf den ersten Blick noch genauso fit aus wie heute morgen, als sie losgezogen waren. Erst der zweite Blick verriet, dass seine Kühlsysteme gleichfalls auf Hochtouren liefen. Der Fellige registrierte an sich selbst sehr heiße Ohren. Er schwitzte in unterschiedlicher Intensität an unterschiedlich dicht behaarten Körperstellen. Seine Nase war feucht, er hechelte flach und er konnte spüren, wie in ihm die Prozesse starteten, die für längere Hitze gedacht waren: Er würde ziemlich zu haaren anfangen, wenn das so weiterging. Diese Details entgingen Jiannas zur Zeit sehr geringen Aufmerksamkeit. Sie sah nur einen völlig fitten Reisebegleiter, der ohne einen Tropfen Schweiß zu vergießen hier angekommen war und jetzt zu allem Überfluss freundlich lächelnd versuchte, ihre Laune zu bessern, indem er das Fahrrad aufhob. Sie wollte überhaupt keine bessere Laune. Sie wollte ein Bad. Pikmo zeigte auf etwas nahe des Horizonts der Ebene, in die der Pfad führte.
"Wir sind bald da. Dann kannst du was essen", sagte er in einer sorgfältigen Auswahl seiner sonorsten, beruhigendsten Modulationen. Aber es half nichts:
"Ich bin nicht bescheuert, ich weiß, dass da hinten eine Stadt ist!", keifte sie ihn an. "Und wir sind eben nicht bald da. Es wird noch ewig dauern! Und ich will nichts essen, ich
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